Der Krieg tobt in der Ukraine. Und bei vielen von uns ist Angst da. Wie damit umgehen? Wir sprechen mit Sabine Arzberger, evangelische Pfarrerin in Bad Wiessee.
Immer wieder bewegt sich das Thema dann doch noch zum Krieg in Europa, Ich erlebe es oft einmal so, dass die Menschen das wie einen Schatten empfinden, der über allem liegt. Und unterschwellig Ängste auslöst, ein Gefühl von (vermeintlicher) Sicherheit nimmt, weil er einen Kontrollverlust mit sich bringt.
Die Jüngeren erleben das so nah zum ersten Mal. Die Bilder von den Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sind anders, als die Bilder der Kriege, die diese jüngeren Menschen bisher kennengelernt haben. Es rückt emotional näher, wie es auch räumlich nahe ist – in Europa. Und die Kontakte zu den Menschen aus der Ukraine tun ein Übriges – machen sehr betroffen, mitfühlend und nachdenklich. In einer Taizé-Andacht in der Friedenskirche klingelte einmal ein Handy wiederholt. Es war das einer Ukrainerin, das den Luftalarm in ihrer Heimat zeitgleich anzeigte. Da brauchte es keine Worte mehr, da war nur noch Mitgefühl.
Wie ist es mit den Älteren?
Und bei Älteren, die den 2. Weltkrieg noch erlebt haben, wird einfach vieles wieder aufgewühlt. Erinnerungen, werden wieder lebendig und die damit verbundenen Emotionen ebenso. Und das waren leider oft traumatische Erfahrungen …
Diese Angst, diese vielen ausgelösten Ängste beeinflussen das emotionale Leben von Menschen, denn sie brechen sich durchaus Bahn, auch, wenn man sie versucht zu verdrängen oder unterschwellig halten will. Sie tauchen dann gelegentlich an Orten wieder auf, wo sie nicht hingehören. Im Miteinander, im sozialen Leben, in der Familie. Aber bedauerlicherweise bewirken sie da und auf diese dann eher unbewusst ausgelebte Weise oft nichts Gutes. Gesellschaftlich begünstigen sie in meinen Augen auch die zunehmenden extremer werdenden Ansichten.
Wie sollten wir in diesen Zeiten damit umgehen? Was ist der Rat einer Geistlichen?
Ich bin Seelsorgerin. Durch Klinikseelsorge-Ausbildung und Supervisions-Ausbildung habe ich diesem Bereich in meinem Pfarrerinnen-Dasein einen Schwerpunkt gewidmet. Ich bin davon überzeugt, dass Reden hilft – fast immer. Und ein aktives Zuhören bewirkt etwas.
Wie also sollten wir mit der Angst umgehen?
Ich halte es für wichtig, sich die eigenen Ängste bewusst zu machen, sie zu benennen und zu besprechen – sie damit auch „aus sich heraus“ zu setzen. Damit werden Ängste ein Gegenüber, dem man nicht mehr einfach tief innen drin ausgeliefert ist. Dass Angst zu unserem Leben und Dasein als Menschen gehört, ist ja keine Frage. Sie ist durchaus eine sinnvolle Maßnahme der Schöpfung, um uns vor Gefahren zu warnen. Schwierig wird es, wenn ich meinen Ängsten ausgeliefert bin oder mich so fühle. Wichtig ist es in meinen Augen, dass ich wieder mit meiner Angst umgehe und nicht die Angst mit mir. Das gilt für möchtegerngroße Ängste ebenso wie für tatsächlich riesige Sorgen. Wenn das jemand nicht alleine schafft, braucht es ein Gegenüber, das zuhört und versucht, weiterzuhelfen.
Haben wir uns zu lange der Illusion eines Anrechts auf Idylle hingegeben?
Das Leben ist kein Wunschkonzert oder ein immerwährender Raum für die eigene Verwirklichung. Es fordert uns auch heraus, erlegt uns Schweres und Unerwartetes auf, richtet sich oft genug nicht nach unseren Vorstellungen, Erwartungen und Plänen, begrenzt uns. Diese jeweiligen Herausforderungen, auch die gegenwärtige durch den Krieg, sind in diesem Sinn eine Erwartung des Lebens an uns. Unsere Aufgabe ist es, damit umzugehen.
Früher war die Kirche der Ort, um solchen Ängsten mit Zuversicht zu begegnen. In der Kuba-Krise waren die Kirchen proppenvoll. Was ist passiert?
Proppenvoll sind die Kirchen auch heute immer wieder, allerdings zu anderen Anlässen. Wir erleben jetzt auch weitaus längere Zeiträume als die der damaligen akuten Krise. Leider hat sich dazu in den zurückliegenden Jahren eine zunehmende Entfremdung zur Institution Kirche eingestellt.
Das hat ja ganz konkrete Gründe, bei den Katholiken der Missbrauchsskandal und der Umgang der Funktionärskaste damit.
Natürlich gibt es Entsetzliches in ihrer Gegenwart und Vergangenheit, was dem Vorschub leistet. Inzwischen habe ich allerdings manchmal auch den Eindruck, dass gar nicht mehr wirklich hingeschaut wird oder gar nicht mehr versucht wird, Kirche mitzugestalten. Da ist bei vielen einfach ein Haken dahinter gesetzt – oft aus einem Detail heraus, das in Zeiten von Geldknappheit und Inflation natürlich auch die Kirchensteuer ist. Und damit ist das Thema Kirche beendet. Das bedaure ich sehr, denn wir Menschen sind spirituelle Geschöpfe. Unsere Seele braucht genauso viel Aufmerksamkeit, wie unser Körper. Hier verkümmert leicht etwas, oder wird auf allen möglichen anderen Wegen gesucht. Wie sinnvoll die teilweise sind, wäre zu klären. Die Sache, die Botschaft, um die es den Kirchen geht, beginnt mit den absolut lebens- und alltagstauglichen biblischen Geschichten. Wir haben hilfreiche Rituale, bis hin zur persönlichen Begleitung oder Gemeinschaft, eine echte Hilfe zum Leben. Zu einem guten Leben – denn erfüllt kann ein Leben auch sein, wenn es nicht nur gelingt und von der Sonne beschienen wird.
Geht es konkreter, Frau Pfarrerin?
Kirche handelt heute auch stark diakonisch und sozial. Mit Beratungsangeboten oder konkreter Hilfe zum Leben – denken Sie nur an die Nachbarschaftshilfe im Tegernseer Tal. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns wurde gemeinsam ein ökumenisches Friedensgebet im Tegernseer Tal gefeiert. In Tegernsee wurde einer ukrainischen Familie eine Wohnung zur Verfügung gestellt und die Kinder finden in den evangelischen KiTas einen neuen Lebensraum. In Bad Wiessee wurden die Räume des Gemeindehauses für alle Gruppen, die sich vorher im Bürgerstüberl trafen, geöffnet. In der Folge davon konnten die aus der Ukraine Geflüchteten das Bürgerstüberl als ihren Raum zur Begegnung übernehmen. Das alles ist im Wortsinn keine sichtbare proppenvolle Kirche, aber ich wage zu behaupten, die Zahl der Menschen, die hier kirchlicherseits unterstützt werden, würden eine große Kirche gut füllen.
Sie haben ausgerechnet in Bad Wiessee einen Ort dafür: die Friedenskirche. Wie könnte die ein Ort für das Zusammenkommen der Besorgten sein?
„Er ist unser Friede“ – steht auf dem tragenden Mittelbalken in der Kirche geschrieben. Die Friedenskirche ist ein Ort für das Zusammenkommen der Besorgten. Der Gottesdienst bietet die Möglichkeit, sich in einer Gemeinschaft zu besinnen und zur Ruhe zu kommen. Eine Botschaft zu hören, die von außen auf uns zukommt, etwas, das wir uns selbst nicht geben und sagen können. Aber nicht nur Besorgte kommen hier zusammen, sondern auch Fröhliche oder Engagierte, natürlich auch Suchende und Zweifelnde. Wo gibt es noch Orte, die allen Menschen gleichermaßen offenstehen, unabhängig von allem, was sie sind und haben, darstellen oder können? Wir feiern inzwischen gemeinsam Gottesdienst im Tegernseer Tal, weshalb die Kirche jeden Sonntag tatsächlich gut gefüllt ist. Es ist ja nicht immer Weihnachten … und proppenvoll. Manchmal ist es das allerdings auch bei Konzerten, die die Menschen hier bei bester Akustik genießen können und damit Nahrung für die Seele bekommen – jedes Mal auch mit einem besinnlichen Input.
Sie haben als Pfarrerin aber ein besonderes Anliegen. Die Friedenskirche braucht dringend Hilfe!
Die Kirche ist auch tagsüber geöffnet. An den Kerzen, die angezündet werden können, sehe ich, wie viele Menschen dieses Angebot nutzen. Einen Ort der Stille suchen, einen Raum des Friedens. Deshalb ist das Ziel auch, diesen wunderbaren Ort des Friedens – die Friedenskirche auf dem Kirschbaumhügel in Bad Wiessee – für die Zukunft zu erhalten. Eine große Sanierung ist hierfür die Voraussetzung – aber leider ist diese Maßnahme noch nicht finanziert und wir suchen dringend großzügige Spender und Sponsorinnen.
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