Ein Plädoyer für Solidarität:
Bauernprotest ­­– was die Trecker-Rallye in Berlin mit uns zu tun hat:

Die Bauern sind sauer. Sie sind nach Berlin gefahren, um sich Luft zu machen. Sie stemmen sich gegen die Kürzung der Subventionen für ihren Trecker-Diesel und gegen die Kürzung der KfZ-Steuerbefreiung. Ein Kommentar:

Hier gefeiert für das touristische Bild, aber sonst? Landwirte haben es nicht leicht. Pexels: Lucas Allmann

Ihre Lobbygruppe, der Bauernverband, spricht von Mehrkosten in Höhe von rund einer Milliarde Euro! Bauern bekommen ihre Subventionen gestrichen. Ist das gerecht? Schauen wir uns einmal die Zahlen an: 258 700 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Deutschland. Seit 2010 sank die Zahl um mehr als 18 Prozent. Das Hofsterben betrifft vor allem die kleinen Betriebe. Hauptursache für dieses Sterben ist eine Zunahme an Regelungen und Vorgaben für die Bewirtschaftungen (Anbindehaltung, Einsatz von Pestiziden etc.) sowie ein Mangel an Nachfolgern. Landwirtschaft verbindet sich eben nicht mit heutigen Arbeitszeitvorstellungen. Eine kalbende Kuh nimmt keine Rücksicht auf eine Vier-Tage-Woche.

Profiteure sind die Großbetriebe

Davon wiederum profitieren die Großbetriebe (z. B. größer als 100 Hektar oder mehr als 200 Kühe). Ihre Zahl wuchs in den letzten dreizehn Jahren um 15 Prozent. Und große Betriebe haben in der Regel auch einen größeren Fuhrpark. Sie trifft die Kürzung natürlich in der Summe stärker. Andererseits haben Landwirte in den letzten Jahren auch besser verdient. Laut Bauernverband erwirtschafteten Bauernhöfe in 2022/2023 durchschnittlich 115. 400 Euro. Das sind 45 Prozent mehr als im Vorjahr. Am besten verdienten Futterbauern für den Milchbetrieb mit 143. 320 Euro. Aber kurz darauf folgen Mastbetriebe mit mehr als 134. 000 Euro.

Wer das Verhältnis zwischen diesen Landwirtschaftsformen sehen will, muss nur einen beliebigen Hof bei uns im Oberland mit einem großagrarischen Industriebetrieb im Norden der Republik oder Holland vergleichen. Schnell wird klar, dass der Trend zu einem global ausgerichteten großagrar-industriellen Wirtschaftszweig geht. Es gibt eine erhebliche Flächenkonzentration von Großbauern. Diese Entwicklung wird, da sind sich Agrarökonomen sicher, den in Deutschland noch stark vertretenden mittelständischen Landwirt in den nächsten Jahren verdrängen. Höfe wie im Oberland haben da am Ende bestenfalls eine landespflegerische Bedeutung. Dies lassen wir uns eine Menge kosten:

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Höchstsubventionierter Wirtschaftszweig

Was wissen wir über unsere Landwirtschaft: Sie stellt der Bevölkerung Nahrung zur Verfügung. Wir wissen auch: Landwirtschaft ist die Branche, die mit Abstand den höchstsubventionierten Wirtschaftszweig in Deutschland bildet. Konkret: zwölf Milliarden Euro bei 900 000 Beschäftigten. Für die Landwirte stehen zwischen 2023 und 2027 insgesamt rund 14 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln zur Verfügung.

Dazu gehören u. a. die „Einkommensgrundstützung” (156 Euro/Hektar), die „Umverteilungs-Einkommensstützung” (69 Euro/Hektar), Förderung von Junglandwirten (116 Euro/Hektar) und zahlreiche Umwelt-Zuschüsse. Innerhalb von Deutschland erhält Bayern das meiste Geld aus dem EU-Agrartopf, gefolgt von Niedersachsen und den übrigen anderen Flächenstaaten.

Das ist wenig überraschend, denn ein Großteil der Agrarsubventionen wird nach dem Gießkannenprinzip als pauschale Flächenprämie ausgezahlt. Etwa 78 Prozent von den insgesamt 6,45 Milliarden EU-Agrarsubventionen gehen bundesweit als Direktzahlungen an die Landwirtschaftsbetriebe. In Niedersachsen sind es sogar fast 83 Prozent, die pauschal an die Landwirtinnen und Landwirte gezahlt werden. Die Direktzahlungen werden nach der Fläche des landwirtschaftlichen Betriebes bemessen. Sie belohnen dadurch Bauern, die ihre Anbauflächen noch vergrößern. Sie gewinnen den Wachstumstrend.
Wenn in Berlin also der Kleinbauer demonstriert, muss er wissen, dass er das auch gerade für die Megabauern-Konkurrenz tut.

Nur: Selbst wenn wir die Subventionen für Bauern kürzen, passiert das noch lange nicht in den Nachbarländern wie Frankreich, Polen der Slowakei. Hier wird der Diesel für den Fuhrpark deutlich stärker bezuschusst.

Bürokratie-Irrsinn und Überheblichkeit

Traditionell ist die Unterstützung der Bevölkerung für die Landwirtschaft auf dem Land größer als in der Stadt. Das kann man schön den Kommentaren diverser Medien sehen: Hier wird der Vergleich zu subventionsfreien Branchen wie dem Handwerk gezogen, dort wird auf die schlimme Tierhaltung oder die Vergiftung des Grundwassers gezeigt. Fast hämisch wird in Beiträgen darauf verwiesen, dass Bauern diese Mehrkosten wohl kaum auf den Verbraucher-Endpreis der Produkte umschlagen können.

Deutschland, so las man, gebe jährlich 460 Milliarden Euro für Lebensmittel aus. Bei einem Wegfall der Subventionen steigen, so Schätzungen, die Nahrungsmittelpreise um weniger als 10 Euro pro Kopf im Jahr. Warum? Discounter beziehen schlicht aus anderen Regionen ihre Produkte. Dann kommt das Kalbsfleisch eben aus Polen. Alles doofe Bauern also?

Es wird dabei von Großstadt-Journalisten vergessen, wie sehr die Landwirtschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren massiv Veränderungen, unklare Vorgaben und Bürokratie-Irrsinn ertragen musste. Selten wurde ein realistisches Gesamtbild sowohl in der Politik als auch bei uns Medien gezeichnet. Mal sind sie Klimakiller, Massentierhalter oder eben Wasservergifter.

Hinzu kommt auf der anderen Seite noch eine katastrophal passiv-aggressive Außenkommunikation der Landwirtschaftslobby, die mit ihren Abwehrkämpfen oft genug übers Ziel hinausschießt.
Das lässt sich sogar vor Ort begutachten. Unser Eindruck: Oft genug melden sich Bauern, die in Gemeinderäten sitzen, nur zum Wort, wenn es um ihre eigenen Belange geht. Das lässt Unterstützung von zugezogenen Menschen aus der Stadt, die ja auch Konsumenten sind, erodieren.

Auch mit einer Krawallschachtel wie Hubert Aiwanger als Unterstützer wird es allenfalls eine Verzögerung des Hofsterben-Trends geben. Landwirte und ihre im politischen Vorfeld agierenden Lobbygruppen haben es in den letzten Jahren nicht verstanden, dicht und nachhaltig ihre Arbeit, ihre Sorgen und Nöte in die Öffentlichkeit zu bringen. Man hätte sich viele Trecker-Fahrten nach Berlin sparen können.

Träger heimischer Tradition

Wer aber diese Entwicklung nur schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, sie mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet vergleicht, sollte wissen, dass damit eine massive gesellschaftliche Veränderung einhergeht. Landwirte bei uns sind oft Träger heimischer Traditionen, der bayerischen Sprache.

Der Autor hat in seiner alten Heimat miterlebt, wie das Plattdeutsche mit dem Höfesterben als selbstverständliche Sprache verschwand. Bauern haben sich in Vereinen überproportional eingebracht. Sie bilden aber vor allem bei uns den Kern der gemeindlichen Gesellschaft. Zweifelhaft, ob das von einer eher anonym leben wollenden Zuzugsgruppe aufgefangen wird. Wenn wir also über Subventionen sprechen, dann ist da eben nicht nur eine ökonomische Frage. Gerade bei uns empfiehlt sich für alle eine kritische Solidarität mit Landwirten, wenn wir unsere Heimat nicht nur als einen touristischen Mehrwert begreifen wollen.

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