Die Ausstellung „Kultur am Abgrund“ im Jüdischen Museum in München erinnert an das einstige jüdische Leben am Tegernsee.
In den Dörfern rund um den Tegernsee existierte seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein kulturell vielfältiges und buntes Leben. Ob jüdisch oder nichtjüdisch: Einheimische und Sommerfrischler, sie genossen gleichermaßen die Schönheit der Landschaft.
Am Tegernsee aufgewachsen
„Rottach-Egern, ein Ort, in dem man jeden Weg kennt, jeden Baum, jede zarte Linie der Berge, jede bunt blühende Wiese, jeden Bauern, der des Weges kommt, jede Bäuerin in ihrer schönen Tracht, den Klang der Kirchenglocken“. So schrieb die Schriftstellerin Grete Weil. 1906 wurde sie als Margarete Elisabeth Dispeker in Egern geboren.
Kurz danach errichtete die heimatverbundene, liberal-bürgerliche, jüdische Familie Dispeker dort einen ansehnlichen Landsitz zur Sommerfrische. Das Haus wurde gerne von namhaften Persönlichkeiten besucht. Darunter waren Leo Slezak, Prinzessin Pilar von Bayern und der Schriftsteller Ludwig Thoma.
Grete Weils Vater Siegfried Dispeker war jahrelang zweiter Vorsitzender der Münchner Anwaltskammer und im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde in München. Tochter Grete heiratete 1932 in Rottach den Dramaturgen der Münchner Kammerspiele, Edgar Weil, der bereits 1933 in die Niederlande emigrierte. Grete Weil folgte ihm 1935 nach Amsterdam.
Gelebte Geschichte
Ihre Eltern zogen 1933 von München ganz nach Egern und betrieben im eigenen Haus eine Pension. Zunehmend sahen sie sich aber auch in Rottach mit antisemitischen Drohungen konfrontiert. 1935 stand vor ihrem Haus in roten Lettern: „Judenschwein pack dich fort.“ Nach dem Tod ihres Vaters 1937 in Tegernsee holte Grete Weil ihre Mutter nach Amsterdam.
1941 wurde Gretes Mann in Amsterdam verhaftet und später im KZ Mauthausen ermordet. Als im Herbst 1943 auch ihre Deportation drohte, tauchte sie unter und überlebte so den Völkermord an den Juden. Sie kehrte erst 1974 nach Grünwald bei München zurück.
In vielen Erzählungen porträtierte die Schriftstellerin Opfer und Täter des NS-Regimes. 1998, ein Jahr vor ihrem Tod, erschien Grete Weils Autobiographie „Leb ich denn, wenn andere leben“. Fotos in der Ausstellung zeigen sie als kleines Mädchen im Dirndl und als junge Frau in Kniebundhosen beim Bergsteigen.
Tracht und Tradition machten alle Menschen gleich
Die Tracht, erzählt Ausstellungsleiterin Elisabeth Tworak, machte sozusagen alle Menschen gleich. Zu sehen ist in einer Vitrine auch ein Akkordeon. Es gehörte dem jüdischen Schriftsteller Max Mohr, der sich einen alten Bauernhof in Rottach gekauft hatte, den Löblhof in Wolfsgrub, der rasch zu einem beliebten Künstlertreff wurde. Schauspieler Heinrich George und Schriftsteller Thomas Mann mit Frau Katia waren gern gesehene Gäste.
Etwa um dieselbe Zeit, als Mohr an den Tegernsee zog, schrieb Ludwig Thoma unter einem Pseudonym seine antisemitischen Hetztiraden für den Miesbacher Anzeiger. Ausgerechnet Thoma, dessen Geliebte Maidi Liebermann von Wahlendorf nach NS-Diktion als Halbjüdin galt. Ein gemeinsames Leben war für sie jedoch ausgeschlossen. Sie wollte Ludwig Thomas Einsiedlerleben in seinem Rottacher Haus nicht teilen.
1921 starb Thoma. Er vermachte seiner Maidi den größten Teil seines Vermögens und das neu erbaute Haus auf der Tuften. Von 1924 bis zu ihrem Tod 1971 wohnte sie in diesem Haus. Auch während der ganzen Zeit des Nationalsozialismus’ gelang es ihr, unbescholten dort zu leben. So gut wie keinem „Nicht-Arier“ gelang dies. Denn bereits im August 1935 warnte die Miesbacher Kreisleitung der NSDAP: „Die hier verweilenden Juden haben binnen 24 Stunden Rottach-Egern zu verlassen und aus den bayerischen Bergen zu verschwinden.“
Der braune Spuk am Tegernsee
Im gleichen Jahr emigrierte Grete Weil nach Amsterdam. In ihrer Autobiographie schrieb sie darüber: „Ein Ort, in dem man zu Hause ist, wirklich zu Hause, auch dann noch, als über dem Ortsschild ein Transparent mit der Aufschrift hängt: ‘Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr’. Das Transparent macht die Menschen hässlicher, nicht den Ort.“ Der passionierte Bergsteiger Max Mohr ging 1937 ins Exil.
Thomas Manns letzter Brief an seinen Freund Mohr, der noch im gleichen Jahr in Shanghai verstarb: „Leben Sie wohl! Der Spuk wird vorbei sein, bis Sie wiederkommen, so oder so. Ihr ergebener Thomas Mann.“
Personifiziert wird der braune Spuk in der Ausstellung mit Adolf Hitler, der in St. Quirin gerne einen Kreis von Freunden und Vertrauten um sich scharte. Fotos zeigen ihn bei einer Schifffahrt auf dem Tegernsee.
Die Ausstellung „Kultur am Abgrund. Jüdisches Leben am Tegernsee 1900 – 1933“ ist noch bis 8. Februar 2015 im Studienraum des Jüdischen Museums in München zu sehen.
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