Doppelmoral im Landkreis Miesbach

Die Bürger im Landkreis Miesbach zeigen sich hilfsbereit gegenüber ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Gut! Doch der bittere Beigeschmack zeigt sich beim Blick auf den bisherigen Umgang mit Geflüchteten. Wo blieb die Solidarität, als die Geflüchteten nicht weiß waren?

Im Landkreis Miesbach haben viele Bürger ihre Solidarität mit der Ukraine kundgetan.

Seit nun schon über einer Woche sind Europas, Deutschlands und Miesbachs Augen auf den Krieg in der Ukraine fokussiert. Die Solidarität ist riesig und die Hilfsbereitschaft ist überall im Landkreis Miesbach zu spüren. Das Landratsamt hat eine zentrale Plattform für Hilfsangebote und Informationen erstellt. Kundgebungen in Rottach-Egern und Schliersee haben Haltung gezeigt. Möglichkeiten zum Unterkommen für Geflüchtete werden großzügig bereitgestellt. Sogar ein Hotel hat sich angeboten, Zimmer für mehrere Monate bereitzustellen.

Unglaublich, was ein Landkreis leisten kann, wenn er will. Wie war das nochmal, als die Kriegsflüchtlinge nicht weiß waren? Wer jetzt (zurecht) überzeugt ist, den ukrainischen Schutzsuchenden zu helfen – sei es in Form von Sach- und Geldspenden oder durch bekennende Solidarität – muss sich fragen: wo war dieses dringliche Gefühl, als das Leid der Geflüchteten aus Afghanistan, Syrien oder anderen Ländern im Fokus der Medien stand. Nicht mal eine einzige (!) Familie aus Moria wollte Rottach-Egern im Jahr 2020 aufnehmen. Schließlich habe man vor vier Jahren schonmal geholfen – reicht dann ja auch.

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Die rassistische Intuition ist in uns verankert

„Aber jetzt ist es doch viel näher dran“, mögen einige ihr impulsives Denken begründen. Intuitiv eine nachvollziehbare Argumentation. Aber wer sich nichts vormachen möchte wird sehen, dass das Leid der Menschen kein anderes ist, nur weil es näher dran wirkt. Sie flüchten aus denselben Gründen. Trotzdem will man einen Unterschied zwischen ukrainischen Geflüchteten und anderen Geflüchteten, beispielsweise aus dem globalen Süden oder dem mittleren Osten, finden. Die offen rassistische Haltung vieler Medien schockiert. Es wird von „Diesmal sind es echte Flüchtlinge“ geschrieben, bis hin zur Begründung, Mimik und Gestik eines Afghanen könne man hier einfach nicht richtig deuten.

Die rassistischen Berichterstattungen in den vergangenen Jahren haben ganze Arbeit geleistet. Wer ständig von gewalttätigen Asylbewerbern liest, und ohne jeglichen Kontext hört, es seien nur „junge Männer“, die ihr Leben auf einem Boot über das Mittelmeer riskieren, wird in seinen Stereotypen geprägt (Wieso beantragen viele junge Männer Asyl? Hier wird aufgeklärt).

Stereotype helfen uns, Fremdes und Neues einordnen zu können – so funktionieren Menschen, um tägliche Überforderung zu umgehen. Auch Berichterstattungen wollen uns helfen zu verstehen, was passiert. Werden diese Stereotype zu Vorurteilen – also von negativen Gefühlen geprägt – hat das lebensbedrohliche Folgen für alle Geflüchteten, die auf Grund ihrer Hautfarbe und ihrer Herkunft als weniger „würdig“ für europäischen Schutz betrachtet werden. Rassismus muss keine Entscheidung sein. Es reicht, solche Narrative oft genug zu hören, um auch selbst unbewusst eher bei weißen Geflüchteten helfen zu wollen als bei Schwarzen oder People of Colour (PoC).

Eine Chance für den Umgang mit Kriegsflüchtlingen

Dies zeigt sich nicht nur daran, dass auch im Tal aktuell die Solidarität und Hilfeleistung groß ist, während in den vergangenen Jahren eher die Angst vor Menschen wuchs, die aus dem Krieg in Afghanistan, Syrien, Eritrea oder anderen Nicht-Europäischen Ländern geflohen sind. Unter beinahe jedem Artikel wird gegen Geflüchtete gehetzt, auch bei der Tegernseer Stimme. Zusätzlich wird der Rassismus im Westen medial offen kommuniziert: „Europäer mit blauen Augen werden getötet“, wird in Nachrichten betont. „Das hier ist nicht Irak oder Afghanistan. Hier war es zivilisiert“. Deutlicher wird es nicht. Flüchtende Menschen werden gegeneinander ausgespielt. Personen aus dem mittleren Osten oder dem globalen Süden werden Menschenrechte, gar die Menschlichkeit abgesprochen.

Die riesige Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine macht Mut. Europa, Deutschland und selbst der Landkreis Miesbach können Unterstützung leisten und Menschenrechte gewähren, wie man in den vergangenen Tagen gesehen hat. So lange hieß es, man habe keinen Platz für noch mehr Geflüchtete. Und nun sieht man: Menschlichkeit überwiegt doch hetzerischen Narrativen und irrationaler Angst.

Für Geflüchtete aus anderen Kriegsgebieten ist es allerdings erneut ein Schlag ins Gesicht. Der Beweis, dass Europa und das Tal gerne die Türen öffnen, sind die Schutzsuchenden weiß und nah dran. Sehen die Geflüchteten „fremd“ aus, wird Menschlichkeit und Empathie plötzlich ganz klein geschrieben. Es entstehen „der gute Flüchtling“ und „der schlechte Flüchtling“, und der Rassismus verankert sich weiter in unseren Köpfen.

Die aktuelle Zeit ist eine Chance, den Umgang mit Kriegsgeflüchteten in Europa, in Deutschland und im Landkreis Miesbach zu hinterfragen und menschenwürdiger zu gestalten – egal, vor welchem Krieg die Menschen fliehen. Uneingeschränkte Solidarität mit allen Opfern von Krieg muss die Lösung sein.

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