Letzte Woche am Gymnasium Tegernsee. Der “Otkar” wird verliehen, Preise für herausragende Arbeiten von Schülern. In einer ausgesprochen professionellen und emotionalen Rede nimmt sich ein Schüler unter anderem den Direktor zur Brust. Der sitzt in der ersten Reihe und muss sich harte Vorwürfe gefallen lassen. Der Redaktion liegt ein Video des Auftritts vor. Es ist der Nachklang einer sonderbaren und abgründigen Geschichte.
Sie handelt vom idiotischen Handeln eines Schülers und einer Kettenreaktion an zumindest fragwürdigen Reaktionen einiger Erwachsener. Was war passiert? In einer WhatsApp-Gruppe des 12. Jahrgangs der Schule hat es eine Challenge, eine Art „Wetten, dass Du das nicht machst?“-Spiel gegeben. Ein Schüler soll im Zuge dieses Spiels anstößiges Bildmaterial eingestellt haben. Ein Bild, dessen Verbreitung eine Straftat darstellt.
Mitschüler melden das dem Direktor, der wiederum informiert die Polizei, die daraufhin das ganz große Gerät herausholt. Wie schnell Dr. Werner Oberholzner reagiert, ist noch nicht klar. Auf Nachfrage erklärt er, sofort gehandelt zu haben. Jedenfalls muss der Jahrgang in der Aula antreten. Handys von Schülern werden eingezogen. Es kommt zu Strafbefehlen. Das ist der juristisch-polizeiliche Bereich. Viele Eltern sympathisieren mit diesem harten Vorgehen, sehen es als notwendiges Mittel und Abschreckung an.
Ein Lehrer kündigt, andere boykottieren
Dann aber ist da noch der Lehrkörper mit seinen teilweise merkwürdigen Auftritten. Hier wird es jetzt unklar. Eltern, die nicht genannt werden wollen, beschweren sich über unreife Verhaltensweisen einiger Lehrer. Der gesamte Jahrgang soll von Teilen des Kollegiums geschnitten worden sein. Eine Pädagogin soll den jüngeren Bruder des mutmaßlichen Täters gefragt haben, „ob er sich nicht schäme, warum er noch auf der Schule sei“. Heute nennt man das Shaming, und das ist mittlerweile verpönt, weil es, vor allem wenn es von Lehrern kommt, ein toxisches Vorbild für Mitschüler sein kann. Wer will das?
Theateraufführungen werden abgesagt, für die monatelang geprobt wurde. Ergebnis: Eine Lehrkraft kündigt. Das Kollegium ist in sich nicht einig, wie mit dem mutmaßlichen Täter umzugehen ist. Das spürt man in jedem Gespräch. Der Junge sitzt trotz Ermittlungsverfahren immer noch im Unterricht. Er will eine Entschuldigung an Schüler und Lehrer schreiben. Die Veröffentlichung wird aber vom Direktor verhindert.
Mitten in den Abiturprüfungen herrscht Unruhe und Anspannung am Tegernseer Gymnasium. Lehrer, Eltern und Schüler melden sich, wollen von dem aus ihrer Sicht schlimmen Miteinander berichten. Dann kommt das Video samt öffentlicher Anklage und wir fragen schriftlich bei Direktor Dr. Oberholzner nach.
Tegernseer Stimme: Sehr geehrter Herr Dr. Oberholzner, es kursieren über den Fall des Schülers diverse, zum Teil haarsträubende Versionen im Tal. Wie hat sich der Vorfall wirklich aus Ihrer Sicht ereignet?
Werner Oberholzner: Die Ermittlungsvorgänge sind nach Auskunft der Kriminalpolizei noch nicht abgeschlossen. Die Informationshoheit liegt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft. Zu Details kann ich daher keine Aussagen machen, da die Ermittlungen nicht vereitelt werden dürfen.
Wann und wie haben Sie von dem Vorfall erfahren?
Oberholzner: Die Schulleitung hat noch an dem Morgen, an dem das Bild ins Netz gestellt wurde, davon erfahren. Über das „Wie“ können hier keine Aussagen gemacht werden.
Gab es zwischen Ihrer Kenntnisnahme des Vorfalls und der Veröffentlichung tatsächlich eine mehrwöchige Verzögerung?
Oberholzner: Nachdem wir von dem Bild erfahren hatten, wurde sofort die Polizei eingeschaltet, die Kriminalpolizei hat noch am selben Tag reagiert.
Gerüchte kursieren, dass noch vor dem eigentlichen „Zugriff” auf Handys die Polizei Ihre Schule bzw. Schüler überwacht haben soll. Was können Sie uns dazu sagen?
Oberholzner: Das ist absolut unzutreffend.
Der betroffene Schüler soll eine schriftliche Entschuldigung an Schüler und Lehrer geschrieben haben, deren Veröffentlichung Sie maßgeblich verhindert haben sollen. Dem Schüler wurde so eine öffentliche „Sühne“ genommen. Wie stehen Sie dazu?<
Oberholzner: Es sind bei dem Vorgang mehr Personen betroffen als nur der Schüler, der ein Entschuldigungsschreiben verfasst hat. In dem Entschuldigungsschreiben war auch ein anderer Name mehrfach genannt. Das Schreiben durfte zu dem Zeitpunkt, zu dem es vorlag, erstens aus ermittlungstaktischen Gründen und zweitens wegen des Persönlichkeits- und Datenschutzes bezüglich der anderen Person nicht veröffentlicht werden.
Etliche Lehrer Ihres Kollegiums klagen darüber, dass Sie sie sehr spät und sehr lückenhaft über den Vorfall und den Stand der Ermittlungen informiert haben sollen. Wie stehen Sie zu diesen Anwürfen?
Oberholzner: Die Herrschaft des Verfahrens lag und liegt bei der Staatsanwaltschaft, die dortigen Ermittlungen zu ermöglichen hatte Priorität. Nicht nur für den Rechtsstaat und damit das Strafrecht seine Ziele erreicht, weitere Taten zu verhindern, sondern vor allem auch für die Schule ist es wichtig, dass Straftaten wie die vorliegende vollständig aufgeklärt werden.
Die Schulleitung hat deshalb auch im Interesse der Schule stets darauf hingewirkt, dass die Ermittlungen ungestört vor sich gehen konnten. So war etwa von der Staatsanwaltschaft in den ersten Wochen ein vollständiges Verbot von Namensnennungen verhängt worden, an das sich auch die Schulleitung gehalten hat. Die Information von Dritten – auch von Lehrkräften oder Mitschülern – musste in dem Zusammenhang hinter das Interesse an Aufklärung durch ungestörte Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei zurücktreten. Die Kollegen wurden noch am Tag des Vorfalls von der Schulleitung von dem Zwischenfall an sich informiert; weitere Informationen folgten zu dem Zeitpunkt, zu dem das jeweils möglich war.
Dieser Schüler sieht einem möglichen Strafbefehl entgegen. Warum ist er aus Ihrer Sicht, sittlich und moralisch in der Lage, die Reifeprüfung, also das Abitur an Ihrer Schule abzulegen?
Oberholzner: Die Ermittlungsvorgänge sind auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Solange von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft noch ermittelt wird, ist es problematisch, wenn die Schule ihrerseits in ein schwebendes Verfahren hinein von unter Umständen anderen Tatsachen ausgeht, da ihr nicht das gesamte rechtliche Ermittlungsinstrumentarium wie diesen zusteht. Das heißt, die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme durch den Disziplinarausschuss wäre vor dem Verwaltungsgericht anfechtbar und hätte wenig Chancen auf Erfolg. Es wurden den betroffenen Schülern gegenüber jedoch pädagogische Maßnahmen ausgesprochen, die in dieser Form als schulinterne Entscheidungen rechtlich nicht so leicht angreifbar sind.
Lehrer sollen erheblichen Druck auf einen Bruder des betroffenen Jungen ausgeübt haben. Haben Sie darüber Kenntnis?
Oberholzner: Davon hatte ich bis Ende letzter Woche keine Kenntnis, ich kenne das auch nur als Gerücht und ohne konkrete Namen. Sofern das überhaupt zutrifft, würde es ganz klar mündlichen und schriftlichen Weisungen von mir an die Lehrkräfte widersprechen, dass mit den Betroffenen neutral und professionell umzugehen ist.
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