Eine Kolumne von Martin Calsow:
Der Tegernsee ist ein Ort, der nur langsam neue Trends aufnimmt. Illegaler Waffenbesitz und -verkauf wird hier erst von Rentnern getestet. Halbwüchsige Talinsassen aber kommen mit einer neuen Kommunikationsform um die Ecke, die das Tal so nötig braucht wie ein rutschender Hang in Tegernsee.
Früher gab es Wählscheiben, das Telefon war grau, grün oder orange, bei manchen im Tal auch mit Samt überzogen. Die Eltern schlossen es auch gern mal ab. Heute hat man das Smartphone. Und man telefoniert nicht mehr so steinzeitmäßig, indem man das Ding ans Ohr hält. Man stellt es auf „laut“ und kreischt auf das Display ein. Neulich im Aran, der zweiten Kantine des örtlichen Gymnasiums, sitzen drei Nachwuchs-Damen am Nachbartisch und reden – allerdings nicht miteinander.
Sie telefonieren. Halten ihr Handy wie einen Koksspiegel vor die Nase und sabbeln auf ein Pixelgesicht ein. Alle drei. Wer das jetzt als Pubertätsflause abtut, der irrt. Nebenan sitzt eine flotte Mittfünzigerin mit „Big Hair“ wie es in Kalifornien getragen wird und tut der Jugend gleich, redet laut und voller Inbrunst über Kosmetik und Hitzewallungen.
Warum machen die das?
Man fragt sich, warum die das machen? Es ist in etwa so praktisch wie das einstige Sprechen in ein Blechdosentelefon. Wo bleibt da die Privatsphäre? Haben besorgte Eltern daheim vor Strahlungen gewarnt, die in das Ohr kriechen und das heranwachsende Hirn nachhaltig schädigen oder ein drittes Ohr hervorbringen könnten?
Das junge Volk in der Redaktion erklärte es mir mit diesen duften neuen weißen Kopfhörern, die Menschen nutzen, um zu telefonieren (und die aussehen, als hätte man sich eine Zigarette hinter’s Ohr geklemmt). Sie kennen diese Zombies. Sitzen irgendwo, reden in die Luft, reden mit Menschen, die nur sie hören können und wirken dabei wie Patienten einer Klinik östlich von München.
Wenn man die kleinen Helferlein verliert
Dumm nur, dass unser verpeiltes Jungvolk die kleinen weißen Helferlein gern verlegt, wie unsereins die Lesebrille vom Müller Drogeriemarkt. Wenn also das Ohrwatschlzeug nicht mehr zur Hand ist, redet man eben auf das Display ein, weil man vergessen hat, wie das gute alte Telefonieren funktioniert.
Aber letztlich klinge ich gerade wie jene, die 1995 sich über „telefonierende Trottel auf der Straße“ lustig gemacht haben. Ein Jahr später bekam ich auch ein Mobiltelefon von meinem damaligen Arbeitgeber (und war mächtig stolz). Ich werde jetzt hier aufhören und lernen, mit meinem Bildschirm zu sprechen.
Bisherige Artikel dieser Kolumne:
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