Ein in die Jahre gekommenes Hotel am Schliersee soll abgerissen werden, ein neues gebaut. Seit Jahren streiten Bauherr und eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern um das Projekt – mit zum Teil absurden Mitteln. Ein Besuch im Nachbartal.
Schliersee im Schneeregen ist eine mentale Herausforderung. Der Himmel hängt tief, die Stimmung ist sowieso im Ort auf dem Nullpunkt. Grund: Aktuell läuft ein Bürgerentscheid. Es geht um den Schlierseer Hof. Ein Hotel, das man, ohne den Besitzern etwas Böses zu wollen, als alten Schuppen bezeichnen kann. Wir besuchen die Hoteliers.
Besuch bei der Hotel-Familie de Alwis
Sie sind herzlich, zuvorkommend und wirken sehr offen. Marcel de Alwis hat das drauf, der 25-jährige Hotelier-Sohn und die Zukunft des Hauses, führt eloquent und leichtfüßig durch die 70 Seiten Präsentation, die sie für Journalistinnen und Bürger vorbereitet haben. Neben ihm sitzt sein Vater mit einem verschmitzten sympathischen Lächeln. Der Vater im grauen Sakko, der Sohn im weißen. Kurz schaut auch Ute de Alwis herein, sie begrüßt uns herzlich, zieht sich dann aber zurück.
Von anderen Personen im Ort wissen wir, dass die Familie auch anders kann, impulsiv, zuweilen auch harsch auftritt, wenn das Narrativ der engagierten Unternehmerfamilie infrage gestellt wird. Heute trumpft das Wohlwollen.
Ab und zu versucht der Sohn, seinen Vater sanft aber bestimmt zu bremsen, erzählt – wie nebenbei –, dass sein Vater mehrfach “Hoteldirektor des Jahres” war. Der junge de Alwis wirkt ein wenig enttäuscht, als wir durch unsere Fragen den Schwung aus seiner Erzählung nehmen, die eine oder andere Folie gar nicht sehen wollen, sondern vor allem Fragen stellen.
Weiterlesen: Schliersee – alles auf Anfang?
Julia Jäckel schreibt über den Genehmigungsprozess zum Schlierseer Hof und offene Fragen.
Neubau Schlierseer Hof
Doe Familie de Alwis will den alten Schlierseer Hof abreißen und ein modernes, deutlich größeres Hotel an seine Stelle setzen. Da ist eine Bürgerinitiative, die das in der geplanten Form nicht haben will. Ein Hotel, ok, aber bitte nicht in dieser Größe. Da ist ein Gemeinderat, der mehrfach das Projekt auf dem Tisch hatte und stets mit großer Mehrheit zustimmte und natürlich ein Bürgermeister, der schwer zu erreichen ist und sich wohl lieber wegduckt.
Und dann sind da im Hintergrund eine Vielzahl von “Heckenschützen”, die mit persönlichen Angriffen, Falschbehauptungen und schlicht Drohungen der gesamten Geschichte einen – selbst für oberbayerische Verhältnisse – üblen Bauerntheater-Geruch verpassen. Beide Seiten – sowohl die Bürgerinitiative wie auch die Familie de Alwis berichten von Bedrohungen und von Hetze. Der Streit um den Neubau des Schlierseeerhofs hat damit die demokratische Sachebene längst verlassen.
Die Gegner stören sich vor allem am Ausmaße des geplanten Baus: 24 Meter hoch soll das Hotel am Seeufer werden, und 92 Meter in der Breite, ein massiver Riegel direkt an der Ortsdurchgangsstraße? Die Zimmerzahl ist von einst geplanten 232 (Quelle: Gemeinderatsprotokoll) auf 112 gesunken, laut aktueller Präsentation der Hotelier-Familie. Auch in den Untergrund wird gegraben. Eine Tiefgarage für an die 100 Autos soll in die Seetonerde gebuddelt werden.
Identitätskrise Schliersee
Der Schliersee ist ein Ort, der seltsam unentschlossen wirkt. Ist es ein Touristenort? Dient er nur als Ruhe- und Wohnsitz für Rentner und Pendlerinnen? Anders als am Tegernsee wurde hier nie eine grundlegende Diskussion über das Wesen und die Zukunft des Ortes in breiter Form diskutiert. Weder von Bürgerinnen und Bürgern, noch von Seiten der Politik. Stattdessen bildeten sich Gruppen heraus, die ihre Partikularinteressen schützen und fördern.
Familie de Alwis
Vor achtzehn Jahren kam die Familie de Alwis nach Schliersee, übernahm das Hotel Schlierseer Hof am Ostufer des Sees. Walter de Alwis hatte als Hoteldirektor in Deutschland Erfahrungen gesammelt, sein Sohn, jetzt 25 Jahre alt, besuchte eine renommierte Hotelfachschule in Salzburg, will in die Fußstapfen der Eltern treten. “Wir wollten das Haus eigentlich verkaufen. Wir hatten schon ein zweistelliges Millionen-Angebot dafür, die Weltreise war gebucht. Aber dann kam unser Sohn Marcel, wollte etwas Eigenes aufbauen und überzeugte uns, noch einmal ein komplett neues Projekt aufzuziehen”, erklärt uns Walter de Alwis, als wir Sohn und Vater im Hotel treffen. Sie wollen uns ihre Sicht der Dinge schildern.
Ganz oder gar nicht: Neubauen oder aufgeben
Die beiden malen das Bild der heimatverbundenen Familie, die schon viele Jahre am Schliersee lebt und jetzt mit dem Elan des Sohnes einen imposanten Schritt in die Tourismus-Zukunft der Region wagen will. “Wir wollen das begehrenswerteste Hotel Deutschlands werden”, setzt der Sohn sein persönliches Ziel weit nach oben. Schon vor vier Jahren hatten sie die Idee zu einem Abriss, kamen mit einer weitaus größeren Planung im örtlichen Gemeinderat zwar gut an. Mit 19 zu 1 Stimme winkte man das Projekt damals durch. Danach kam der Widerstand aus dem Ort.
Schon jetzt sei das Hotelprojekt durch diverse Vorgaben und Einwürfe deutlich kleiner geworden, verteitigen sich die de Alwis. So klein, dass sie jetzt sich nicht mehr auf Kompromisse einlassen wollen, weil es sich für sie einfach nicht mehr rechne. Entweder alles so, wie es als Plan vorliegt, oder gar nicht. Neu oder nichts. Das ist ihr Motto.
Und mit Neu meinen sie auch den Namen: Bekommen sie grünes Licht für den Bau, gehört der Name Schlierseer Hof der Vergangenheit an. Zusammen mit Marketing-Experten habe sich die Familie den Begriff “Uwama Bay” eintragen lassen. Ein Akronym aus den Namen der Familie: “Ute, Walter, Marcel und Bay stünde für Bayern. Ob das der neue Hotelname wird, sei noch unklar.
Mutig gegen Widerstände
Vordergründig ist es eine einfache Geschichte: Eine mutige Hoteliersfamilie will gegen alle Widerstände mit viel Mut zum Risiko ein denkwürdiges Projekt am Schliersee aufziehen. Das ist aller Ehren wert. Aber statt Applaus, bekommen sie Gegenwind. Der ist zuweilen mehr als grässlich, findet oft auf der persönlich-menschlichen Ebene statt. Ein Bürgerentscheid, der das Projekt in dieswer Form ablehnt, steht vor der Tür. Das Ergebnis wird am 05. Mai verkündet.
Exkurs zum Tegernseer Tal: Manifestation des touristischen Bösen?
Für viele Bewohnerinnen und Bewohner des Schliersees, wie auch in den Nachbargemeinden, ist der größere Nachbar im Westen die Manifestation des touristischen Bösen. So will man nicht sein. Das hört man allenthalben, wenn man Gmund nach Osten verlässt. Tegernsee – Lago di Bonzo. Diese vielen Touristen, Hotelbauten. Der Verkehr. Grauslig! Am Schliersee will man’s noch bodenständig haben. Kein Bussi Bussi oder Champagnerpartys, mehr Tretboot und Bluna. Der Konflikt liegt, fragt man Historiker, Jahrhunderte zurück: Dort das Kloster Tegernsee, hier die Grafschaft Hohenwaldeck.
Das Bild der Naturtourismus-Zone mit Liebe zur Heimat bekommt Risse, wenn man stolz von den Übernachtungszahlen am Schliersee spricht. Da liege der Ort gerade hinter Spitzenreiter Bad Wiessee, sagt de Alwis. Aber etwas leiser wird dann ergänzt, dass man die Betten auf dem örtlichen Campingplatz mitrechne. Am Schliersee scheut man die notwendigen Schritte in die Zukunft, so ist der Eindruck vieler. Kann doch alles so bleiben. Drüben im Tegernseer Tal mögen sie vor den Investoren buckeln. Wir sind Gerhard-Polt-Land. Hier am Schliersee steht man aufrecht (und fährt als Handwerker auch gern mal zum Nachbarn und kassiert die dortigen Preise).
Wofür steht man aber wirklich? Was soll der Ort hergeben? Schon jetzt ‘sterben’ Läden und Hotels, bleiben Gasthäuser leer. Aber gleichzeitig steigen Mieten und Kaufpreise für Wohnraum. Eine absurde Situation. Und jetzt so ein Projekt? Wird es andere Hotelideen anlocken? Will man das? Was ist mit dem zunehmenden Verkehr? Dem Wohnraum für das Personal? Die Regionalentwicklung Oberland, kurz REO, der kleine und finanzschwache Bruder der Tegernseer Tal Tourismus, versucht händeringend eine lukrative Markenbildung für die Region aufzubauen. So ein Hotelstreit kommt ihr da gerade nicht recht.
55 Millionen
Neben allerlei Kritikpunkten über wegfallende Parkplätze oder fiese Fassaden, werden große Fragen, die man am Tegernsee immer wieder in den letzten Jahren hörte, eher nachgeordnet gestellt: Eine Familie de Alwis, steht für ein aktuell 55 Millionen-Euro-Projekt. Investor? Fehlanzeige.
Drei Banken, eine aus Österreich, haben die Finanzierung, so Walter de Alwis, gesichert. Noch gibt es keine städtebauliche Vereinbarung mit der Gemeinde, die z.B. mögliche Bau-Zeiträume vorgibt. Das ist ein dickes Brett, das eine dreiköpfige Familie stemmen muss. Die de Alwis haben nicht unbegrenzt Potenzial eines Milliardärs wie Thomas Strüngmann, der mit seinem “Seegut”-Projekt in Bad Wiessee Millionen von Euros in das dortige Westufer versenkt.
Was, wenn der Familie wegen unvorhergesehener Ereignisse (Hochwasser, Baumängel, etc.) finanziell die Luft ausgeht? Bleibt dann dort eine Bauruine für längere Zeit stehen? Kennen wir vom Tegernsee, da wurde aus dem JSB-Areal vor Jahren eine Brache, die den Ort nachhaltig negativ prägt. Investoren, die in der Nullzins-Zeit alles kauften, was nach Stein und Beton roch, bekommen seit Monaten kalte Füße, frieren ihre Projekte ein, warten auf bessere Zeiten. Man plant, reicht bei der Gemeinde ein, aber hofft, noch nicht so schnell mit dem Um- oder Neubau anfangen zu müssen. Das Geld sitzt nicht mehr locker. Ob das Guggemos in Tegernsee, Bachmair am See in Rottach-Egern oder die May-Klinik in Kreuth – lieber liegenlassen, als anfassen und untergehen.
Probleme am Bau: Severin’s, Hurler, das Tegernsee, Kaltenbrunn
Und Probleme am Bau kennt man beim Severin’s in Rottach-Egern auch. Da stoppte Ende letzten Jahres der Bau für Monate, weil es Probleme mit dem Tiefbau gab. Das dürfte auch eine kostenfreie Lehre für das Schliersee-Projekt sein: De Alwis plant eine Tiefgarage direkt am See. Das ist bautechnisch kein Kinderspiel, mal abgesehen von den nicht wirklich abschätzbaren Risiken bei Starkregen-Ereignisse.
Auch Marcel de Alwis rechnet allein für die Tiefgarage mit Kosten von bis zu vier Millionen Euro. Und: Schliersee gehört zu den regenreichsten Gebieten Deutschlands. Und hier lassen sich Lehren auch für Schliersee ziehen. 2008 hat die Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT)erfolgreich ein Luxushotel-Projekt der Schörghuber-Gruppe in Gmund-Kaltenbrunn verhindert. Das war ein Novum und sorgte für einen jahrelangen Trotz-Leerstand am Nordpunkt des Tegernsees.
Sieben Jahre zuvor ist es der Familie Hurler in Rottach-Egern gelungen, ihren Altbau im Malerwinkel abzureißen und das neue Hotel Überfahrt in einem der schönsten Plätze des Tegernseer Tals zu setzen. “Heimatverräter” nannte man sie. Und noch heute stören sich viele Einheimische über den Klotz von Rottach-Egern. Aber er wirft viel Geld für die Gemeinde ab. Mit seinen jährlichen Besuchen namhafter Fußballvereine werden über Wochen Fans in den Ort gelockt. Schöner ist der Bau nie geworden. Geführt wird das 176 Zimmer Hotel von der Althoff-Gruppe, die deutschlandweit diverse Hotels im Angebot hat.
Oder das Caro&Selig in Tegernsee mit 125 Zimmern, die von vielen als Bohne verspottete Hotel- und Wohnanlage in der Ortsmitte: Groß und mächtig, und hoffentlich nicht stilbildend, hat sie schon kurz nach dem Start eine touristische Nische für sich gefunden und eine feine und konstante Gästebelegung erreicht. Warum? Es nimmt vor allem die vielen Hochzeitsgäste auf, die in Tegernsee “anfallen”, zum Teil auf Vermittlung durch andere Hotels. Aber das Gebäude gehört einer Fondsgesellschaft (Union Investment) und wird von der Marriott Gruppe betrieben.
Oder das Tegernsee, etwas weiter oben am Hang im Ort: Gehört der Versicherungskammer Bayern, die das Hotel mal eben mit bis zu 15 Millionen Euro sanierte und sicher auch ökonomische Durststrecken überstehen kann. Da wird dann auch einmal umfangreich ein Personalhaus umgebaut, um die immer wichtigeren Arbeitskräfte am Ort zu binden.
Es sind Investoren, ob heimisch oder nicht, die Risiken aushalten, Belegungsdellen über die Saison ausgleichen können. Denn zuletzt gibt es eine grundsätzliche, eine Gastro-Gretchenfrage sozusagen: Was, wenn der Bau steht und sich nicht rechnet? Werden dann in schierer Not aus dem neuen Hotel, teure Luxus-Eigentumswohnungen für Zweitwohnler? Will das Schliersee? Es sind die Klassiker-Fragen vom Tegernsee.
Kein Dazwischen
Seit Wochen wird im Ort Stimmung für und gegen das Projekt gemacht. Es gibt, so wirkt es von außen, kaum ein “dazwischen”. Entweder dafür oder dagegen. Und mit letzterem kennt man sich am Schliersee aus: 2016 verhinderte ein Bürgerentscheid einen neuen Firmensitz des Salbenherstellers Sixtus (2019 stand das Unternehmen dann vor dem Aus).
Bürgerentscheid am 5. Mai 2024
Am 05. Mai wird das Ergebnis des Bürgerentscheids im Rathaus Schliersee bekanntgegeben. Das vorläufige Ende eines jahrelangen Streits? Walter de Alwis wie auch sein Sohn sagen uns gegenüber, dass sie bei einer Niederlage endgültig die Segel streichen. “Dann ist für uns Schluss”, sagt der Vater. Es ist nicht klar, ob das eine leere Drohung ist, oder einfach nur ein erschöpftes Eingestehen, dass man am Schliersee – gegen einen geballten Widerstand gegen alles Neue schlicht nicht gewinnen kann.
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Morgen gibt es einen zweiten Teil von Julia Jäckel: Über die Fragen, die bleiben.
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