Es geht um mehr als um eine Wiese
Schluss mit Kirchturm-Eitelkeit

Mit solch plumpen Parolen verspielt man politisches Kapital. In Gmund wurde dieser Tage mal wieder mit dem kommunalpolitischen Dampfhammer operiert. Ein Kommentar von Martin Calsow. Weiterlesen: Es geht um mehr als um eine Wiese
Schluss mit Kirchturm-Eitelkeit

Es ging um das Dürnbacher Feld. Eine landwirtschaftlich genutzte Wiese im Westen Dürnbachs. Bürgermeister Besel will dort eine Einrichtung für Kinder und Alte schaffen, und wenn man schon beim Bauen ist, idealerweise auch Wohnraum schaffen. Dem gibt er das Label “Einheimischenprogramm”. Hat jemand etwas Kritisches einzuwenden? Dann kontert Besel zugespitzt und unterkomplex:

Das Schutzgut Kindeswohl und Familie hat Vorrang vor dem Boden.

Das ist das Totschlag-Argument, damit lässt sich jeder sachliche Widerstand oder Zweifel emotional wegkartätschen. Wer ist schon gegen Kindeswohl? Wegen einer Wiese? Aber Besel leidet wie alle anderen Verantwortungsträger im Tal unter zwei Entwicklungen: Zuzug von Familien, deren Kinder eine Infrastruktur benötigen. Krippen, Kitas, Schulen, Spielplätze etc. Woher kommen die? Sind das alles Stadtflüchter, die aufs Land kommen und nun ihre Rechte auf Daseinsfürsorge einfordern? Oder sind das vor allem Menschen, die der wichtigste Wirtschaftsfaktor, der Tourismus, braucht? Als günstige Hilfskräfte, als Helferlein, damit wir es den Gästen hübsch machen und noch hübscher von den Steuern leben?

Denn auch das gehört zur Gegenrechnung des Tourismus: Er kostet uns Geld und Ressourcen an kaum bekannter Stelle. Bei aller Freude über junge Menschen in einem sonst eher alten Tal: Kinder kosten. Sie brauchen Kitas und Schulen. Und Franz von Preysing (CSU) hatte recht, wenn er sagt: “Immer weniger Familien können es sich leisten, dass ein Partner daheim bleibt.” Die sind auf kommunale Betreuung schlicht angewiesen, weil sonst das Leben am See unerschwinglich bleibt. Besel reagiert also nur auf wirtschaftliche Veränderungen des gesamten Tals.

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Der zweite Faktor ist noch dräuender: Die Alten im Tal. Der schon jetzt hohe Anteil der älteren Bevölkerung (65 und älter) wird weiter zunehmen. Das bayerische Landesamt für Statistik rechnet sehr konservativ für die Gemeinde Gmund beispielsweise mit einer Steigerung von über 14 Prozent von 2019 zu 2039 in der Gruppe 65 Plus (von 1479 Personen auf 1700). Das ist in Gmund so, und in allen anderen Talgemeinden ebenso. Nur: Es fehlen schlicht genug Einrichtungen für diese Gruppe, wenn sie pflegebedürftig sind. Zeitgleich reduziert sich die Zahl der Vollererwerbstätigen zwischen 40 und 60 Jahren um fast elf Prozent. Was heißt das? Für wen müssen Alfons Besel und seine Kollegen in der Zukunft Politik machen? Welche Gruppe wird die Themen bestimmen?

Sie lagen in ihrem eigenen Kot

Kommunalpolitik kann auf solche Umbrüche nur sehr reduziert reagieren. Gern tut sie es mit einer weiteren Versiegelung von Flächen. Was wäre auch die Alternative – für Gmund? Und hier liegt der Hase im Pfeffer (und vielleicht auch in der Wiese). Eine alternde Gemeinde, partieller, schwer zu kalkulierender Zuzug von Kräften im dominierenden Wirtschaftszweig Tourismus – das sind politische Brocken, die jenseits von Gemeinderatsitzungen zu lösen sind. Talweit muss das Thema gedacht und angepackt werden.

Die Welle des Pflegenotstands rollt schon längst über uns hinweg. Die katastrophalen, menschenverachtenden Zustände in einem Schlierseer Pflegeheim sind nur ein Symptom. Das wird, wenn wir es nicht talweit oder landkreisweit mit breiter Bürgerbeteiligung anpacken, der schlimme Alltag für unsere Alten und für deren Familienangehörigen werden. Es macht also keinen Sinn, eine kleinteilige Lösung für Gmund auf einer Wiese zu suchen. Vielmehr muss das Thema Kinder- und Altersbetreuung über alle Gemeinden hinweg im gesamten Tal gedacht und erarbeitet werden. Die Zeit des Kirchturmdenkens ist vorbei, wenn Menschen in unserem Landkreis unter menschenunwürdigen Bedingungen ihren Lebensabend verbringen müssen.

Konkret: Die Gemeinden müssen in diesem Punkt zusammenarbeiten. Da reicht eine intransparente Bürgermeister-Besprechung alle paar Wochen nicht. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Oberen der fünf Gemeinden müssen stärker als bisher nach außen hin als Einheit verstanden werden. Kinderbetreuung, Altenpflege und sogar die Energieversorgung – das sind keine Themen für schwindelige Klausurtreffen. Das muss größer verhandelt und gedacht werden. Stehen da kleingeistige Eitelkeiten einzelner Politiker im Weg, müssen die benannt und ausgemerzt werden.

Nie mehr “Wachsen oder weichen”

Die Kommunalpolitik muss sich im Tal stärker und nachhaltiger als bislang vernetzen, und nicht willkürlich Wiesen versiegeln. Zumal: Der Ausbau der Kita an der Bichlmairstraße wohl nicht ganz vom Tisch. Wachsen oder weichen – das war der Killersatz, der die Landwirtschaft in die Sackgasse führte. Für Kommunen gilt er schon lange nicht mehr. Wachsen bedeutet hier eher bereits Bestehendes zu verändern. Kurz: Wohnraum, der im Tal vorhanden ist, anders und intensiver zu nutzen. Wenn von Kreuth bis Gmund noch immer Häuser oder Kliniken leer stehen, sollte das Versiegeln von Wiesen für Kitas und Pflegeeinrichtungen ein Tabu bleiben. Das wäre, Gruß geht raus an die CSU und die FW, wirklich konservatives Denken und Handeln.

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