Voralpenland: Eldorado für Demokratiefeinde?
“Wähler der Grünen Partei möchten wir nicht bedienen”

In einem Geschäft in Tegernsee lag ein Zettel aus: Sympathisanten und Wähler der Grünen möchte man hier nicht bedienen. Das Wort “bedienen” ist eingeklammert von sieben Ausrufezeichen. Meinungsfreiheit? Demokratiefeindlich! Leider kein Einzelfall im Oberland.

Nostalgisch oder weltfremd? Die deutsche Flagge mit Banane und DDR-Symbol in Ostin.

Irgendwie ist der Mensch schnell mit der Gesamtsituation unzufrieden. Mal sind es die Pandemie-Maßnahmen. Mal der Wolf. Irgendwas ist immer. Früher sprach man auf der Straße seine Politiker an, schrieb Leserbriefe oder machte etwas völlig Irres: Man ging selbst in die Politik. So war das – damals im politischen Nachkriegsdeutschland West. Auf der anderen Seite der Mauer war das eher nicht so eine gute Idee. Diktatur halt.

Seit einigen Jahren gibt es ein Phänomen hier im Oberland, das sich (noch) nicht erklären lässt. Menschen, vielleicht nicht viele, aber dennoch sichtbare Mengen, artikulieren ihren Unmut nicht mehr wie in den “guten alten Zeiten”. Sie pinseln auf ihre Zäune, hängen Plakate über ihre Wiesn, die unser Gesellschaftssystem als neue DDR ausweisen sollen.

Auch eine Art, seine Meinung klar auszudrücken.

Sie schreiben Kommentare ins Internet gegen “die da oben”, die sind manchmal noch sarkastisch, mal Unredlichkeit unterstellend, gern im Graubereich des strafrechtlich relevanten oder deutlich rechts. Sie beleidigen Politikerinnen, verspotten und bepöbeln deren Aussehen, Herkunft und Orientierung. Maß und Mitte? Gibt es nicht mehr. Und jetzt? Weigern sich manche Anhänger rechtsstaatlicher Parteien in ihren Geschäften zu bedienen. Kurz: Menschen in unserer Region, in der ziemlich viel richtig läuft und es sich fein leben lässt, da schüren Menschen wieder Hass.

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2022: Aufmarsch der Impfgegner

Rückblick: die ersten Monate 2022. Im Alpengürtel von Garmisch bis Berchtesgaden laufen Menschen mit Kerzen durch die Nacht. Impfgegner. Auch bei uns am See finden sie sich ein. Kommunalpolitiker schauen ratlos aus ihren Amtszimmern auf die Gruppen. Einige von ihnen sind in den Orten bekannt, arbeiten in Verwaltung, Kollegien oder als Geschäftsinhaberin. Nette Menschen –eigentlich. Aber wehe, du sprichst über das Impfen. Ein sarkastisches Lachen, ein Abwinken, manchmal auch ein Schwall an halbgaren Wissen, welches sich über den Fragesteller gießt – keinen Widerspruch duldend.

Viele der kleinen Demonstrationen wurden von rechtsextremen Gruppen wie dem “Dritten Weg” initiiert. Hier gibt es Schnittmengen. Es ist ein Zweckbündnis mit einem alternativen, esoterischen Milieu. Auch viele enttäuschte Grüne sollen da mitlaufen, die in der offiziellen Politik ihrer Ex-Partei keine Heimat mehr finden. Aber auch in der CSU rumorte es 2022. Viele wollten den anfänglichen Sicherheitskurs des MP Söder nicht mitgehen. Einzig Hubert Aiwanger zog die Impfkritiker mit seiner Weigerung überhaupt übers eigene Impfen (Ich?) zu sprechen, auf seine Seite. Betont das “Freiheitsrecht” des Einzelnen.

Das wird ihm und den Freien Wählern– auf jetzt noch – bei der Landtagswahl Stimmen im Voralpenland einbringen. Aber zu welchem Preis? Experten wie der Weltanschauungsexperte der Evangelischen Kirche in Bayern, Mathias Pöhlmann, sagte damals der Taz: “Das Voralpenland ist ein Eldorado für esoterische Anbieter, Homöopathie- und Naturheilkunde-Fans. Dieses Milieu neigt generell zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Staat.”

Impfgegner-Demo: Tegernsee 2022

Der Medizinhistoriker, Malte Thießen, aus Münster sieht für diesen Widerstand zwei Gründe: Zum einen gibt es im Alpenraum eine Tradition der Selbstbestimmung, die sich über die Ablehnung des Staates definiert”. Zudem sei aus der Stadt ein bürgerliches Selbstoptimierungskonzept in den ländlichen Raum gekommen. Ein Rückzug auf das eigene Ich, also Egozentrismus.   

[…] aus der Stadt [ist] ein bürgerliches Selbstoptimierungskonzept in den ländlichen Raum gekommen. Ein Rückzug auf das eigene Ich, also Egozentrismus. Malte Thießen, Medizinhistoriker

Die Pandemie geht. Wie aus dem Nichts taucht – auch bei uns – eine Verschwörung sogenannter Reichsbürger auf. Einige von ihnen sind in örtlichen Vereinen in hohen Ämtern tätig. Das sind Menschen, die unseren Staat ablehnen, mehr noch: seine Existenz schlicht leugnen. Sie finden sich auch in unseren Gemeinden, wohnen zum Beispiel in Rottach-Egern, fallen dort auch örtlichen Politikern übel auf.

Neues Feindbild: Die Grünen

Waren die ersten Monate im neuen Jahr noch ruhig verlaufen, muss nun ein neuer Feind her: die Grünen. Die eignen sich gerade gut, weil sie – so nimmt es die eine Bürgerin oder der andere Bürger im Tal wahr – auf einem hohen moralischen Ross daherkommen. Fallen sie von diesem, etwa wegen der Graichen-Affäre, ist das Gelächter überraschungsarm groß.

Ricarda Lang am Gut Kaltenbrunn
Ricarda Lang – Vorsitzende der Grünen und Berufspolitikerin – wurde massiv auf Facebook beschimpft.

Diese Stimmung machen sich Radikale wieder zunutze. Die Tegernseer Stimme wie auch der Merkur bringen einen Bericht über den Besuch der Grünen-Politikerin Ricarda Lang. Man muss sie nicht mögen, kann ihre Politik verurteilen. Aber eine große Anzahl der Kommentare auf unseren Seiten sind extrem beleidigend, einige bedrohlich. Wir löschen die Kommentare, die unsere Netiquette ignorieren und in Hass und Misogynie abdriften. Auffällig: Darunter übliche Verdächtigen, die mit Klarnamen schon seit der Flüchtlingskrise kübelweise Beleidigungen, Links zu Verschwörungstheorien in die Tasten hauen. Aber jetzt kommen neue dazu, verlieren Maß und Mitte.

Sympathisanten und Grünen Wähler wollen wir nicht

Und dann letzte Woche: Eine Geschäftsinhaberin legt einen Zettel in ihr Schaufenster, will keine Anhänger der Grünen bedienen. Thomas Tomaschek von den Grünen in Rottach-Egern ist stinksauer: “Die Plakataktion hat eine Grenze überschritten … heute sind es wir Grüne, morgen vielleicht Schwarze oder Homosexuelle, die in dieser Art diskriminiert werden.”

All diese öffentlichen Meinungsäußerungen spielen sich noch im Graubereich des Strafrechts ab, einiges wirkt geradezu gesteuert: Wenn von den Agitatoren vom rechten Rand der Shitstorm im Netz orchestriert wird. Wenn wortgleiche Kommentare auf verschiedenen Plattformen auftauchen, hat entweder jemand viel Zeit oder gute Kontakte zu Hatern.

Gern wird von einigen Foristen zwischen dem Ausgrenzen der Grünen und dem Eintrittsverbot für Ungeimpfte eine Parallele gezogen. Hier treffen sie sich: Die Impfgegner. Spricht man mit örtlichen Politikern darüber, wollen sich diese selten dazu äußern. Mal aus Angst, eigenes Wählerpotenzial für die anstehende Landtagswahl zu verlieren, mal aus Furcht vor einem Shitstorm. So bleibt es also weiter ruhig, und der Hass setzt sich fort.

Drohungen machen fassungslos

Schon jetzt fürchten sich einige ehrenamtliche Grüne im Tal. Haben Angst vor physischen Angriffe und appellieren an das soziale Miteinander. Tomaschek von den Grünen findet: “Wir müssen für unsere Demokratie einstehen, klar Position beziehen und dürfen solche Ausgrenzungen nicht tolerieren – egal bei wem, egal bei welcher demokratischen Partei!” Bislang hält sich die Solidarität anderer Funktionsträger im Tal und im Oberland in Grenzen. Auch die grüne Gemeinderätin, Andrea Schack, steht am Ende der gestrigen Sitzung im Gemeinderat Gmund auf und spricht: “Wenn es um Morddrohungen geht, wenn geschrieben wird, dass man sich psychisch untersuchen lassen soll, wenn man Grün wählt und in einem Geschäft nicht bedient wird, wenn man mit den Grünen sympathisiert. Dann geht mir das eindeutig zu weit. Es macht mich fassungslos und wütend zugleich.

Das kann ich auch nicht so einfach wegstecken. Das hat mit Demokratie und Meinungsfreiheit, meiner Meinung nach, nichts mehr zu tun. Worte haben eine enorme Macht […] Andrea Schack, Grüne Gemeindrätin Gmund

Ich bin verzweifelt und fühle mich persönlich massiv angegriffen. Das kann ich auch nicht so einfach wegstecken. Das hat mit Demokratie und Meinungsfreiheit, meiner Meinung nach, nichts mehr zu tun. Worte haben eine enorme Macht und deswegen sollten wir uns alle sehr gut überlegen, was wir sagen und schreiben […]. Mein eindringlicher Appell: Bleibst kritisch, aber bleibt’s auch fair dabei.”

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