Wie ein Wolf über die Schafe

Ist die Katholische Kirche eine Bande von Lügnern und Verdeckern? Sicher nicht. Aber sie ist nach der Veröffentlichung des Gutachten in unserem Bistum moralisch am Ende. Bitter für all jene, die mit Herzblut und einem tiefen Glauben ihre Institution in Trümmern sehen. Aber bitter ist es vor allem für die Opfer der Missbrauchspriester…

Die katholische Kirche – jenseits unserer Gesellschaft?

Ein Kommentar von Martin Calsow:

Wenn die Glocken im Tal läuten, erinnern sich auch jene, die schon längst aus der Kirche austraten, an ihre katholische Vergangenheit. Zuweilen wird man sentimental, erinnert sich an so etwas wie Heimat. Dann aber liest man das Gutachten über Missbrauch im Erzbistum München-Freising, lehnt sich zurück, denkt an seine eigene katholische Erziehung, seine Prägung und ist einfach nur froh, von diesen Abgründen der katholischen Missbrauchskaste verschont geblieben zu sein.

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Letzte Woche wurde ein Gutachten zum Missbrauch von Kindern für das Erzbistum München veröffentlicht. Es belastet den amtierenden Erzbischof Reinhard Marx und den emeritierten Papst Benedikt schwer. Aber was macht es mit den katholischen Christen hier im Tal? Schweigen sie weiter? Gehen still in die Kirche? Treten nicht aus? Stehen sie zu einer Glaubensgemeinschaft, die wie das organisierte Verbrechen über Jahrzehnte Straftaten und Verbrecher gedeckt und verschleiert hat?

Wer suchte die Nähe zum Lügner?

Gern stellten sich in den vergangenen Jahren  politische Würdenträger und Vereinsmeier mit stolzgeschwellter Brust neben Herrn Ratzinger, suchten die Nähe ausgerechnet zu jenem Lügner, der sich jetzt mit Aussagen über Missbrauch vollends ins gesellschaftliche Aus geschossen hat. Es wäre an der Zeit, wenn jene Adabeis eine klare Haltung gegen die Funktionäre der Kirche zeigten. Jene Funktionäre, ob Bischöfe oder Päpste, die den Missbrauch über Jahrzehnte deckten und damit erst systemisch haben werden lassen. Wer schweigt, stützt das Regime.

Nicht zuständig gefühlt für Missbrauchsopfer

Das ist ja alles nicht neu. Seit Jahren wird weltweit das systematische Verbrechen gegen Kinder durch katholische Priester aufgedeckt. Enthüllungen über den ehemaligen Papst und den ehemaligen Chef der deutschen Bischofskonferenz verleihen dem Thema aber eine neue Dimension. Beide wurden befragt, und ihre Antworten lassen einem den Atem stocken.
Erzbischof Reinhard Marx etwa, so referieren die Gutachter, habe sich nicht zuständig gefühlt für Missbrauchsopfer – er sei schließlich für die Verkündigung des Wortes Gottes zuständig gewesen.

Sie konnte auch Heimat sein

Ich bin durch und durch katholisch sozialisiert. Das ganze Programm: Ministrant, Wallfahrten etc. Nie wurde ich Zeuge noch Opfer von Missbrauch. Im Gegenteil: Einige Priester, die meine Jugend begleitet haben, waren mir eine wichtige Orientierung. Dafür bin ich dankbar. Umso schrecklicher ist es, dass weiter oben über Jahrzehnte die vielen Fälle in den Bistümern weltweit weggeschoben und gedeckt wurden. Päpste, Bischöfe, die kirchliche Verwaltung hatte nie das Wohl der Opfer im Sinn, stattdessen wurden sie verklagt, verhöhnt und als “Einzelfälle” marginalisiert. Ein System der Schande war – und ist es.

Ist der Abgrund ausgeleuchtet?

Diese Schuld gegenüber den Opfern, aber auch gegen jenen Gläubigen, die über Jahre in Treue fest zu ihrer Kirche und den Funktionären standen, ist gigantisch. Müssen wir immer davon ausgehen, dass Priester der katholischen Kirche im Zweifel ein Sicherheitsrisiko für unsere Kinder darstellen? Gehen sie noch immer wie Wölfe unter die Schafe, missbrauchen, quälen und schaffen jahrelanges Leid, wo sie trösten und helfen sollten?

Bei der Vorstellung des Gutachtens blieb der Stuhl, auf dem der Erzbischof Marx hätte sitzen sollen, leer. Am Sonntag läuten die Glocken. Das System ist noch immer da.

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