Es wird furchtbar – aber irgendwann auch besser?

Die Pandemie steht vor ihrem Ende, da bekommen die Bürger der Talgemeinden die nächsten Hiobsbotschaften um die Ohren geschlagen. Es kommen Jahre mit Lärm, Gestank und Stau auf Orte wie Bad Wiessee oder Tegernsee zu. Der Bauboom macht’s möglich: Es wird abgerissen, gebaggert und hochgezogen. Fangen wir auf der Westseite an.

Bad Wiessee wird Baustelle … da müssen wir durch.

Im April sollten die Bagger auf dem alten Hotel Edelweiß-Gelände ihre Schaufeln in den Boden rammen. Vorgesehen sind drei Gebäude. Das Haupthaus soll direkt an der Münchner Straße liegen. Dazu kommen 34 Appartements und noch zwei kleinere Gebäude mit Eigentums- und Mietwohnungen. Insgesamt werden es 17 Einheiten sein. Tagtäglich werden Baufahrzeuge den Aushub abfahren, die Ortsdurchfahrt frequentieren, Stau verursachen, Lärm verbreiten. Der Bauherr, Immobilien-Unternehmer Markus Oswald, schätzt die Bauzeit auf zwei Jahre, kalkuliert die schweren Bodenverhältnisse schon mit ein. Das hatten die Entwickler des alten Hotel Ursula Geländes auch getan – es wurde ein wenig länger…

Das Grühn-Areal

Kurz darauf soll es weiter südlich losgehen – das Grühn-Areal. Eine der größten und anspruchsvollsten Projekte im einstigen Kurort. Ziel der Gemeinde: Eine Belebung des Innenbereichs. Auch hier wird es auf lange Zeit einen extremen Baulärm und Dreck geben. “Die nächsten Jahre werden eine ungeheure Belastung für alle Einwohner und Gäste von Bad Wiessee sein. Aber freuen wir uns auf die Jahre danach”, erklärt uns Bürgermeister Robert Kühn, der sich auf mehr Einkaufsmöglichkeiten auf eben diesem Grühn-Areal freut.

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Ein Vollsortimenter wie Rewe oder Edeka, ein Discounter, Lidl oder Aldi und natürlich ein Drogeriemarkt soll auf dem Grundstück entstehen. Der Bürgermeister ist von dem Projekt so überzeugt, dass er dem Unternehmer noch das erst vor wenigen Jahren von der Gemeinde erworbene ehemalige Hotel Rheinland verkauft. Fast 11.000 Quadratmeter werden bebaut. Sechs Gebäude, teils viergeschossig, eine zweigeschossige Tiefgarage.

Das Grühn-Areal: Hier soll der neue Ortskern von Bad Wiessee entstehen. / Quelle: Martin Calsow

“Wir brauchen so etwas im Ortskern”, behauptet Kühn. “Denn wir müssen die Grundversorgung der Bürger schützen. Wenn in ein paar Jahren wegen des Verdrängungswettbewerbs im Einzelhandel unsere Supermärkte dichtmachen, werden die Menschen fragen, was wir dagegen gemacht haben. Deswegen sorgen wir vor.” Bei bereits zwei Vollsortimentern, diversen Discountern in Ortsnähe – eine gewagte These, die Kühns Bauamtsleiter Bammer aber von Studien der Regierung Oberbayern gestützt sieht.

Stolz ist der Bürgermeister, dass er mit dem Verkauf des Haus Rheinlands auch Bedingungen an den Entwickler Marcel Dittrich gestellt hat. “Wir haben auf 20 Prozent der Tiefgaragen-Parkplätze ein Belegungsrecht”, freut sich der Politiker. 400 Plätze sind auf zwei Etagen geplant. Ob und wie sehr der Verkehr auf und an der Bundesstraße (Fußgänger, Radfahrer, Autos) von der jahrelangen Baustelle betroffen ist, konnte Bauamtsleiter noch nicht sagen. “Sperrungen von Radwegen oder Fahrbahnen werden immer sehr kurzfristig angefordert und dann mitgeteilt.”

Aber weiter geht’s mit der munteren Baustellenfahrt

Nicht nur an der Durchgangsstraße werden Baustellen für Stau, Lärm und Dreck sorgen. Familie Strüngmann gedenkt nun endlich auch einmal zu bauen. Die Pillen-Milliardäre aus Bad Wiessee-Holz und ihre Firma Athos haben zum Verdruss des Gemeinderats und der Bürger des Ortes lange mit dem Bauen gewartet. Es wurde hin und her geplant, hinzukamen und kommen quälend lange bürokratische Verfahren.

Strüngmann-Planung – mit Wallberg am Westufer… / Quelle: heller & partner Marketing Services AG

Die Architekten der Strüngmann-Firma kamen mit guten Nachrichten in den Wiesseer Gemeinderat: Es wird gebaut – in diesem Mai soll es losgehen. Dann rollt der Baustellenverkehr munter durch die Hirschbergstraße, wo ja dann in den nächsten Jahren das mehrstöckige Barefoot-Hotel entstehen soll. Fast ist man glücklich, dass die SME jegliche Aktivität auf dem Jod Schwefel Bad Gelände eingestellt hat. Aber der Abriss des Badeparks müsste ja auch noch erfolgen.

Auch die Kirinus-Klinik will eine Tiefgarage haben. Der Bau wird sicher nicht in diesem Jahr beginnen, aber 2023 kann man sich dann wohl auch auf regen Baustellenbetrieb am Ortsende Bad Wiessees “freuen”. Ein völlig intakter Baukörper an der Sanktjohanser Straße soll abgerissen werden. Kirinus-Klinik Chef Klitzsch will dort Personalwohnungen haben.

Wir kennen das Problem – aber machen… nichts

Projekte des Staats sind noch nicht in das große Stop and Go Spiel eingerechnet. Aber Baustellenverkehr mit schweren LKW belasten, wie auch Staus, Fahrbahnen überproportional. Sanierungen von Straßen und Brücken sind die Folge. Jetzt lassen wir den Tagesausflugs-, den Durchgangs-, und den Urlaubsverkehr im Sommer dazukommen: Dann ist das der perfekte Sturm. Einen Vorgeschmack bekommen die Einwohner des Tals derzeit mit den Bauarbeiten auf Höhe des Maximilian in Gmund. “Das ist die Krux mit einem Tal. Eigentlich müssten wir im Sommer das Tal sperren”, erzählt ein Bürgermeister hinter vorgehaltener Hand. Auch er weiß, dass Baustellen für den Tourismus eine “Herausforderung” darstellen.

Keiner wagt zu fragen, wie denn durch den stockenden Verkehr die ach so reine Luft belastet wird. Dazu kommt der Lärm. All das passt nicht ins Bild der Idylle, mit denen die Gastgeber so gern werben. Klar. Wer aus Bottrop-Kirchhellen kommt, lacht über die Belastung. Aber ist das ein Maßstab?

Navi-Systeme verteilen den Verkehr in die Wohnviertel

Wer nun glaubt, dass sich der Stau auf der Münchner Straße zeigen wird, der irrt. Moderne Navi-Systeme werden Ortsfremde führen, zum Beispiel über die Auerstraße oder am See entlang über die Adrian-Stoop-Straße. Das gilt erst recht für Ortskundige. Das alles passiert langsam ansteigend, hat wie beim Frosch, den man ins Wasser wirft und die Temperatur erhöht, vielleicht einen Gewöhnungseffekt bei den Bürgern. Wiessee? Ist halt Dauerstau.

Warum dauern aber diese Bauprojekte immer so lang, fragen sich die Bürger. Zum einen ist Bauen heute aufwändiger, deutlich mehr Auflagen lassen Projekte nicht nur kostenseitig explodieren. Jede zusätzliche Maßgabe der Politik verzögert die Bauzeit. Hinzu kommt:

Die Verknappung von Baumaterial, das fehlende Personal, die vielen Aufträge im Privat- wie auch im staatlichen Sektor haben dazu geführt, dass Bauprojekte immer heikler zu planen sind. Auch wenn Kommunen sich mit einem sogenannten städtebaulichen Vertrag gegen Verzögerungen am Bau absichern wollen: Wenn das Material oder das Fachpersonal fehlt, wird eben nicht gebaut. Ehe eine Baugenehmigung zurückgezogen wird, zahlt ein Bauherr lieber Strafe. Die Kuh muss vom Eis, der Bau fertiggestellt werden.

Und was wäre die Alternative?

Brachen will keiner haben, der Ort braucht eine Zukunft. Kühn hat viel versprochen, aber bislang wenig eingelöst. Noch immer glaubt mehrheitlich die Politik an Wachstum um jeden Preis, verspricht dafür eben Grundsicherung von ortsnahen Einkaufen bis “belebte Innenbereiche”. Also lieber jetzt über Jahre leiden, aber dafür irgendwann mal ein vitales Dorf sein? Und was genau soll das sein, vital? Ist Konsum der einzige Messwert für Lebendigkeit?

Es werden schwere Jahre auf Bad Wiessee zukommen. Das steht fest. Die örtliche Politik und ihre Verwaltung tun alles, um das Schlimmste zu verhindern. Aber auch sie wissen: Bis mindestens 2028 wird es an der Westbank laut, eng und dreckig werden.

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