Kein Ort für falsche Illusionen

Gmunds Realschuldirektor Stefan Ambrosi gibt sich keinen falschen Illusionen hin. Alkohol-, Drogen- und Tabakkonsum: Das sind Lebensbereiche, die nicht nur die große Welt da draußen, sondern auch ganz konkret seine Schützlinge betreffen.

Der Rektor Stefan Ambrosi äußert sich zum Drogenproblem in der Realschule in Gmund
Der Rektor Stefan Ambrosi äußert sich zum Drogenproblem in der Realschule in Gmund

„Es gibt keinen Grund zur Panik. Dennoch haben wir Einzelfälle, die uns Sorgen bereiten“, sagt Stefan Ambrosi. Entspannt sitzt der hochgewachsene Mann auf seinem Stuhl. Er wirkt unaufgeregt, seine Worte wählt er mit Bedacht. Gerne möchte er die Öffentlichkeit über das informieren, was ihn seit geraumer Zeit beschäftigt: Drogen-, Tabak- und Alkoholmissbrauch unter Minderjährigen. Stefan Ambrosi meint damit auch seine Schülerschaft.

Auf Zahlen kann und will er sich dabei nicht berufen. Es sind nicht die empirischen Werte, die die Grundlage für diese Äußerungen bilden. Der Schulrektor verlässt sich lieber auf seine subjektive Wahrnehmung, die auf eine lange Erfahrung im Schuldienst und eine genaue Beobachtungsgabe gestützt sind. Der Tegernsee als Heile-Welt-Ort. Schön wär’s. Ambrosi seufzt: „Das ist das, was wir gerne glauben möchten. Nein, auch hier haben Kinder mit den alltäglichen Problemen des Lebens zu kämpfen. Vielleicht nicht in der ausgeprägtesten Form, wie man sie aus großen Städten kennt, aber es gibt sie, die Dramen des Lebens.“

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Was er sieht und hört? Er sieht Heranwachsende, die nach 13 Uhr außerhalb des Schulgelände stehen und rauchen. Er weiß, dass viele von ihnen beim Feiern am Wochenende zu tief ins Glas schauen. Er sieht auf Fotostrecken im Netz Kinder und Jugendliche mit dem Maßkrug in der Hand. Und er weiß auch, dass einige seiner Schüler bereits Erfahrungen mit dem Kiffen gemacht haben.

„Als Rektor habe ich eine Mitverantwortung“

Die Gründe sind altbekannt: „Neugier, experimentieren, die eigenen Grenzen kennenlernen, das alles ist in dem Alter normal“, sagt Ambrosi. Manchmal sind es aber auch Faktoren wie falsche Freunde, Gruppenzwang oder Stress zu Hause, die dazu verleiten, Ja zu sagen.

Es ist eine schmale Gratwanderung, auf die sich der Gmunder Rektor begibt. Einerseits will er nicht überreagieren, Panik schüren. Andererseits auch nicht wegschauen, wenn ein begründeter Verdacht besteht. „Wir haben eine Mitverantwortung, was aus diesen Kindern wird.“ Diese Kinder, das sind jene fünf oder sechs Schüler, von denen er mit gutem Grund annimmt, dass sie bereits Erfahrungen mit Cannabis gemacht haben. „Leistungsabfall, Persönlichkeitsveränderungen, sich aus dem sozialen Bereich rausziehen. Die Zukunft dieser Kinder steht auf dem Spiel.“ Die tatsächliche Zahl, wie viele seiner 576 Schüler schon erste Drogenerfahrungen gemacht haben, schätzt Ambrosi höher ein.

Dass es derzeit eine politische Diskussion in Deutschland gibt, weiche Drogen zu legalisieren – insbesondere Politiker der Grünen setzen sich für eine Reform des Rauschmittelgesetzes ein – findet der Schulrektor nicht förderlich: „Eine Freigabe in der Öffentlichkeit wäre die falsche Botschaft. Mir fehlt da eine klare Abgrenzung zum Konsum Jugendlicher und es würde der Eindruck der Verharmlosung entstehen“, lautet seine entschiedene Haltung.

Polizei registriert immer mehr Cannabis-Verstöße

Präventive Maßnahmen sind eine Möglichkeit, wie eine Schule ihre Schüler für das Thema sensibilisieren kann. Das ist nicht neu, habe sich aber bewährt. An der Gmunder Realschule heißt das Projekt, das in Kooperation mit der Polizeidienstelle Bad Wiessee stattfindet, „Sauber bleiben“. „Ziel ist es, dass sich die Kinder der eigenen Stärken bewusst werden. Auf Abschreckung setzen wir dabei nicht. Durch den Gruseleffekt macht man Dinge erst interessant“, sagt Stefan Ambrosi.

Trotz der positiven Resonanz liegt das Projekt derzeit auf Eis. Die Gründe sind simpel: „Personelle Engpässe“, heißt es auf Anfrage bei der Polizeiinspektion (PI) Bad Wiessee. Und weiter: „Wir würden es gerne weiterführen und wissen um seine Wichtigkeit, sind aber in andere stark belastende Aufgaben eingebunden.“ Dass Drogenkonsum bei Jugendlichen im Tal ein Thema ist, können die Beamten bestätigen. „Ja, wir haben auch Schüler, die aktenkundig sind.“

Ein Blick auf die 2015 veröffentliche Kriminalstatistik der PI zeigt in der Kategorie Jugendkriminalität darüber hinaus einen deutlichen Anstieg. 26 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz registrierte die Polizei in 2014. Ein Jahr zuvor waren es „gerade mal“ zwölf. Gründe dafür, dass der Cannabiskonsum auf dem Vormarsch ist, sehen die Beamten in der gesellschaftlichen Entwicklung der Droge: „Als besonderes Jugendproblem können wir es nicht einstufen. Wir beobachten, dass es wirklich alle sozialen Schichten und Altersgruppen betrifft.“

Zukunftsvision: Kooperation mit anderen Schulen

Dennoch: Der Handlungsbedarf ist da. Gmunds Rektor würde, wenn er denn könnte, gerne an seiner Schule eine dauerhafte Sozialarbeiterstelle einrichten. „Anhand der Beratungsgespräche mit einer Sozialpädagogin, die ein Jahr lang bei uns tätig gewesen war, sieht man, dass die Schüler das Thema annehmen“, sagt Ambrosi. Als Lehrer und Rektor kann er diesen Beitrag nicht leisten. Denn: „Wir stehen für das System Schule. Das macht einen großen Unterschied.“

Die Nachfrage beim Landratsamt ergibt, dass der Kommune die Hände gebunden sind. Es scheitert an den finanziellen Mitteln. „Leider kann die Landkreisverwaltung keine dauerhaften Stellen an den weiterführenden Schulen schaffen“, sagt Pressesprecher Birger Nemitz.

Wie soll es nun weiter gehen? Stefan Ambrosi denkt kurz nach. Den ersten Schritt – das Tabu zu brechen und an die Öffentlichkeit zu gehen – hat er getan. Geld vom Landkreis gibt es in Zukunft keines. Die Kooperation mit der Polizei ist unterbrochen. Bleibt also nur das persönliche Engagement des Einzelnen übrig. „Ich kann mir vorstellen, dass die Zusammenarbeit aller Schuldirektoren im Landkreis intensiviert wird. Dazu bedarf es allerdings eines passenden Rahmens“, so Ambrosi abschließend.

 

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