Eine Partei, die riecht wie ein alter Koffer

Die CSU hat seit einiger Zeit Schwierigkeiten, neue Wähler zu erreichen. Und auch die Stammwähler sind lange nicht mehr so treu wie einst. Jetzt sehen sich die Verantwortlichen in ihrer Vormachtstellung durch die Grünen gefährdet. Doch was ist da eigentlich schiefgelaufen?

Die Spitzen der CSU – zumindest im Landkreis Miesbach – beim diesjährigen Neujahrsempfang. Rechts: Jens Spahn von der CDU / Bild: Klaus Wiendl

Ein Kommentar von Martin Calsow:
Für die CSU waren die letzten Jahre mit der politischen Konkurrenz nicht einfach. Erst die rechten Hetzer der AfD und nun die Grünen. Es ist wie Durchfall direkt nach einer Grippe. Die Altherrenpartei kommt nicht in den Status der Gesundung. Auf allen Ebenen wird sie in Reservate geschoben, da, wo ihre langsam vor sich hinsterbende Klientel wohnt und schiere Angst vor grünen oder schlicht modernen Lebensvorstellungen hat.

Söders Truppe hatte jahrelang in vielen Gemeinden den politischen Freifahrtschein. Ihren vielbesungenen Erfolg bekam sie, weil sie Sicherheit und Wohlstand versprach und meist auch einhielt, damit den Zuzug in das bäuerliche Bayern bekam, den es dringend nach dem letzten Krieg brauchte. Das galt und gilt auch für das Oberland. Ohne Zuzug kein florierendes Handwerk, florierende Gastronomie, sprudelnde Steuereinnahmen und letztlich reiche Erbschaften durch Hausverkauf an vielgeschmähte Preußen.

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Aber in diesem Fahrwasser konnten auch Politiker wie Georg von Preysing oder Jakob Kreidl überhaupt so lange ihre Vorstellung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit in jeder Ausprägung leben. Und ausgerechnet jetzt stehen grüne Glücksbärchen als Futterneider fest im Ring.

Schauen wir uns die Felder an, die für das Oberland entscheidend sind:

Verkehr: Es staut sich an allen Ecken und Enden im gesamten Oberland auf quälende Weise. Ob Schliersee, Waakirchen oder die B318 ins Tal. Jeder erlebt und erleidet es. Für die CSU gibt es keine Ausreden. Sie hält seit zehn Jahren das Bundesverkehrsministerium. Sie regiert das Land gefühlt seit der Steinzeit. Sie stellte – mit kurzen Unterbrechungen – Jahrzehnte den Landrat, dominierte fast jede Gemeinde. Aber bis auf neue Straßen, Tunnel und eine irre kleingeistige Maut, die ihr nun um die Ohren fliegt: nichts.

Ein visionäres Konzept für das Oberland, welches von Holzkirchen bis Kreuth wirkt, könnte ein Ausweis einer modernen Partei sein. Stattdessen kreischt der CSU-Nachwuchs mit atemlos machendem Kirchturmdenken am Wählerwillen vorbei, wollen sich die Milchbärte an Tirolern rächen, drapieren sich für ein Foto um ein Auto herum. In einer Zeit, wo alle Oberlandbewohner über zu viel Verkehr und Stau klagen und den Tirolern sehr wohl recht geben, bringen sie den Satz: “Straßen sind zum Befahren da”. Man muss nicht alt sein, um wirr zu quaken.

Armselig war die jüngste Reaktion der CSU-Funktionäre auf das BOB-Chaos. Erst wegschweigen, dann hektisch alten Wein in neuen Schläuchen anbieten und dann auf das Vergessen der Wähler hoffen. Seit neuestem im Kreis der „Wirdschonwerden“-Truppe: Der Mann, der für das Landratsamt kandidiert, und das Verkehrsproblem nicht einmal in seinem Heimatort ansatzweise hinbekommt. Das kann er sicher nicht allein schaffen. Aber Eigeninitiative sieht anders aus. Ob er einen Plan hat, jenseits von Fototerminen mit Ilse Aigner?

Demografie: Ja, das Tegernseer Tal wird älter. Aber diese Klientel will man nicht verstören mit Konzepten für junge Familien und Jugendliche. Oder kennt jemand eine dufte Idee von der CSU-Truppe dazu? Lieber reiche und gefügige Alte, als weniger betuchte Junge, die auch noch frecherweise Forderungen nach Radwegen, bezahlbaren Kitaplätzen und einer nachhaltigen Landwirtschaft stellen.

Bauen und Wohnen: Zumindest in Tegernsee wacht der ein oder andere auf und formuliert Sätze, die auch der Linken in Berlin hätten einfallen können. In Rottach-Egern heizt man lieber die Stimmung gegen Neubürger an, statt mit den erheblichen Steuermillionen bezahlbaren Wohnraum für Einheimische zu entwickeln. Aber wer glaubt, die CSU würde auf Tal- oder Kreisebene ein gemeinsames Konzept entwickeln und den Wählern anbieten, muss sich auch hier wieder enttäuscht abwenden.

Woran liegt’s?

Der Fisch stinkt vom Kopf. Oberste Chefin ist Ilse Aigner. Die wirkt auf manche wie die liebe Tante, die auf Geburtstagen einschläft und die, wenn man sie anstupst, kurz eine eingeübte Rede von sich gibt, dann aber wieder zur Erleichterung der Gäste wegdämmert. Aber auch auf der Bürgermeisterebene ist viel Mittelmaß anzutreffen: lieber verwalten und nicht auffallen, als entwickeln und auch mal anecken. Da nennt sich ein Kandidat allen Ernstes „Dienstleister“, so als sei ein Bürgermeister eine Sparkassen-Servicekraft. Das Irre: Die CSU ist in ihrem Gesamtgefüge, in ihrer programmatischen Tiefe gar nicht die Flächenfraß-Wachstum-Partei. Sie könnte für Heimaterhalt, auch im christlichen Sinne stehen.

Schnödes Wachstum, Klientelpolitik für wenige Wohlhabende ist gar nicht ihr Kern. Einst waren es die Grantler, die Eckigen wie Alois Glück und andere, die dieser Partei einen Überbau gaben, der sicher altväterlich-steuernd, aber eben auch Sicherheit und Heimatorientierung versprachen. Heute sind es Verwalter, Besitzstandswahrer und Aussitzer bis hinunter auf Bürgermeister-Ebene. Die Partei hat in den letzten Jahren zu wenig in die Aus- und Fortbildung ihrer Führungskräfte investiert, hat junge Frauen auch auf Kommunalebene in erschreckend schlichter Weise vernachlässigt. Spiegelbildlich ist dann ein kommunikatives Mini-Desaster um Florian Sareiter in Bad Wiessee.

Und das hat einen Grund: Wer im Oberland für ein größeres Amt kandidiert, muss, wenn er genug Stimmen erhalten will, in mindestens zwei Vereinen engagiert sein. Das ist fast immer die Feuerwehr und ein Sportverein. Das wiederum sind nicht nur im Tal meist Männerdomänen. Diese undemokratische Barriere schwemmt Männer in Positionen, deren Durchschnittlichkeit aus jeder Pore kriecht. Nicht Qualifikation, sondern Proporz zählt in dieser Truppe. Damit riecht man eben als Partei bald wie ein alter Koffer: Etwas alt, etwas abgestanden. Doch noch reicht‘s für die nächste Reise … und bis zur nächsten Wahl.

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