Jörg Kachelmann zu Humbug, Hagelfliegerei und Hagel
“Das Wissen ist nicht mehr wichtig”

von Martin Calsow

Er ist vom Fach, und er ist nicht diplomatisch. Wetterexperte Jörg Kachelmann zeigt beim Thema “Hagelfliegerei” klare Kante. Wir haben mit ihm darüber gesprochen …

Sie mussten es gefühlt millionenfach erklären. Dennoch: Kann Hagelfliegerei erfolgreich Hagel verhindern? Was müsste theoretisch passieren, damit es erfolgreich ist? (Stichwort mehr Flugzeuge)

Nein, die Hagelfliegerei ist ein gerissenes Betrugsschema, das von Menschen ausgenutzt wird, die ein teures Hobby haben und einen Weg gefunden haben, dass jemand Anderes dieses teure Hobby finanziert. Man weiß seit 1970 definitiv, dass es nie erfolgreich sein kann, man hat das global wissenschaftlich untersucht. Es gibt aber immer einzelne Gegenden in der Welt, in der Wissenschaft keine Rolle spielt, was immer traurig ist.

Selbst wenn 1.000 Hagelflugzeuge am Himmel wären, würde das nichts ändern, weil die immer weit weg vom eigentlichen Gewitter sind.

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Die Flugzeugerl sind überhaupt nicht dafür zugelassen, dem Gewitter nahezukommen. Wenn sie wirklich dort wären, wo gerade Hagel entsteht, würden sie in mehreren Einzelteilen vom Himmel fallen. Deshalb machen auch die größten Verkehrsflugzeuge einen großen Bogen um die Gewitterwolken. Man kann es ja selber verfolgen, man sieht die Hagelflieger immer vom Boden aus.  Das bedeutet gleichzeitig, dass sie dort sind, wo ohnehin völlig egal ist, was sie tun. Es wäre schön, wenn das für die Hagelfliegerei verwendete Geld direkt aus dem Flugzeug geworfen würde, das würde die Menschen am Boden glücklich und für den Hagel keinen Unterschied machen.

Hier im bayerischen Oberland lebt der Glaube an die Kraft der Hagelflieger fort. Die Hagelflieger werden gern als besonders mutig („dicke Eier“) von einigen Bewohnern betrachtet. Ein kleines Flugzeug und gigantische Gewitterformationen – ist das der Wunsch nach Wetterhelden?

Es gibt beim Hagelfliegen den Beweis, dass es nichts bringt. Die Hagelflieger bedienen das unchristliche und selbstüberhöhende Allmachtsgefühl, dass der Mensch gegen alles etwas tun können muss. Ich wünschte mir, dass die Menschen zu ihren Wurzeln zurückkehrten. Beim Hagelfliegen wissen wir ganz sicher, dass es nix bringt. Beim Glockenläuten und Beten sind wir nicht sicher. Ich würde das Geld jederzeit eher dem Pfarrer in die Kollekte geben als irgendwelchen Scharlatanen, die sich am Aberglauben einer seltsamen Hagelsekte bereichern.

Wie bei der Homöopathie wollen Menschen Fakten und Wahrscheinlichkeiten ausblenden. Hat dieses Ignorieren wissenschaftlicher Arbeiten in den letzten Jahren zugenommen?

Ich bin inzwischen ein alter Mann und habe den Eindruck, dass wir früher weniger deppert waren, weniger an Hokuspokus geglaubt haben, weniger einfach zu betrügen waren. Alle diese Betrugsschemata: Homöopathie, Granderwasser, Mondholz, Hagelfliegen. Das Wissen ist nicht mehr wichtig, Glauben ist alles. Im Vergleich zu all dem Wahnsinn, mit dem heute Geld gemacht wird, ist die katholische Kirche vergleichsweise eine wissenschaftliche Institution. 

Wir schrieben, dass die Hagelfliegerei nichts bringe. Auf unserer Facebook-Seite brach ein Sturm der Entrüstung los. Zornig, zum großen Teil auch beleidigend („Euer Praktikant, der das geschrieben hat, gehört entlassen“). Woher die Wut?

Sekten reagieren immer mit Wut, wenn jemand das Geschäftsmodell der Sekte angreift. 

Sie leben wie wir im Alpen/Voralpenland. Hier scheint der Glaube an wissenschaftlich nicht belegbaren Dingen besonders groß zu sein. Wie erklären Sie sich das? Ist das eine Frage des ländlichen Raums?  

Wir haben das in der Schweiz auch, dass man den großkopferten Gelehrten in der Stadt nicht automatisch alles glaubt. Was mir Sorgen macht, dass man nun kleinkopferten und skrupellosen Geschäftemachern aus der Stadt glaubt, die dieses Misstrauen für eigene Zwecke ausnutzen. Es sind nicht die Bauernkinder, die mit dem Hagelflugzeug fliegen.

Sie sprechen in Interviews von einer Hagelflieger-Mafia. Ist das nicht übertrieben?

Nein, es sind mafiöse Strukturen, sonst wäre es nicht möglich, dass für ein reines Betrugsschema auch öffentliche Gelder ausgegeben werden. Dazu gehört eben auch die Einschüchterung derjenigen, die sich dagegen wehren, dieses völlige Ausrasten, damit sich jeder genau überlegt, ob er im Gemeinderat gegen die Hagelsekte etwas sagen möchte. Die Prinzipien sind dieselben. Es wird mit Lügen den Menschen ein Hagelschutzgeld abgepresst, ohne dass dieses für irgendwas Sinnvolles eingesetzt wird. Es dient nur der Bereicherung derjenigen mit dem teuren Hobby. Und wenn jemand ausschert, wird er bestraft, wie Sie ja auch selber erleben.

Landkreise finanzieren die Fliegerei? Wie wären Ihrer Meinung nach die Mittel besser eingesetzt?

Alles ist besser als die Verwendung für eine rein betrügerische Absicht, die nur der Bereicherung weniger Menschen dient. 

Jörg Kachelmann:

Jörg Kachelmann (65), Journalist, Wetterexperte und Unternehmer aus der Schweiz. Mit seinem Wetterportal “www.kachelmannwetter.com” erreicht er Millionen Kunden im deutschsprachigen Raum.  

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