Mein Tal, Dein Tal – Das Tal ist….

Als die Trachtler vergangene Woche in Gmund feierten und durch die Straßen zogen, ätzte ein Kommentator, dass dies nur ein Karnevalsumzug sei.

Der anschwellende Protest von ehrlich Empörten ließ ihn vermutlich die trolligen Hände reiben. Wieder einmal konnte sich jemand an Bayern abarbeiten.

Das gelebte Traditionsbewusstsein am Tegernsee ist nicht jedermanns Sache.
Das gelebte Traditionsbewusstsein im Tegernseer Tal ist nicht jedermanns Sache.


Einmal im Monat werden Menschen aus dem Tal die großen Themen der sich verändernden Region um den Tegernsee anfassen, ihre Ideen formulieren und Debatten anstoßen. Unser Ziel ist es, neben den alltäglichen Themen große Fragen unserer Heimat zu debattieren. Diskutieren Sie mit, zeigen Sie Ihre persönlichen Ansichten und Überzeugungen. Kommentieren Sie kritisch und fair. Wir werden, das sei gesagt, Trollkommentare und mit Schmähaussagen versehene Kommentare löschen.

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Debattenbeitrag – heute der Wiesseer Schriftsteller Martin Calsow. Sein Wunsch: „Ideen, die über das übliche Kirchturmdenken hinausgehen“.

Regionale Eigenheiten in Kleidung, Sprache und Gesamtauftritt können zuweilen und auch unfreiwillig Oasen des Spotts darstellen. Schwieriger Satz, zugegeben. Aber anders kann man die hochnäsige Attitüde vieler Menschen nördlich der A8 kaum beschreiben, wenn sie sich über Traditionalisten und Bewahrer auslassen.

Rückständig sind jene, die in einer Scheinwelt aus Schalkfrauen-Idylle und Goaßlschnalzer-Gehabe leben. Denn das ist längst Makulatur. Schon lange kommen die reichen Münchner, bauen Holzbuden am See oder Schuhschachteln oder „entwickeln“ mit Hilfe willfähriger Einheimischer vor sich hin. Neureiche werfen mit Geld um sich, bei dem die Tinte noch nicht trocken ist.

Und schon glauben sie, Deutungshoheit über alles zu haben, was am See passiert. Denn alles scheint besser, als immerzu nur bewahren zu wollen. Der nach Veränderung strebende Besucher kann oder will nicht verstehen, dass Menschen einfach nur so leben wollen, wie sie es seit ihrer Kindheit gewohnt sind. Veränderung ist gern Selbstzweck. Das fängt mit jungen Jahren an.

Unsere Sprache stirbt aus

Kinder werden im Elternhaus und in der Schule von der bayerischen Sprache ferngehalten. Sollen Englisch lernen, damit sie eines Tages nicht wie der Verkehrsminister eine Witzfigur abgeben. Eine jahrhundertealte Sprache mit all ihren faszinierenden Wortkreationen siecht dahin, stirbt aus, der Globalisierung zum Opfer gefallen.

Auch für mich als Schriftsteller ist es schwer: Ich werde bei meinen Lesungen gefragt, warum ich in meinen Krimis über das Tal nicht die bayerische Sprache nutze. Der Grund: Zwar in Bayern geboren, bin ich nicht mit dem Idiom vertraut. Umso mehr begeistert es mich, wenn in den Trachtenvereinen und in einigen Familien diese Sprache Alltag ist.

Sie sind meine persönlichen Helden. Denn die Sprache ist wie ein Spiegel unserer Heimat, reflektiert unsere Idee von einem Leben in dieser Region, ist nicht genormt und universell. Und genau das setzt sich in vielen anderen Bereichen fort. Der Tourismus und sein mantraartig beschworenes finanzielles Potenzial hat sich zu einem Fetisch entwickelt, dem wir alles unterordnen wollen. Unser Leben, unsere Natur, selbst die Feste – alles nur noch eine Postkarte für Besucher.

Für jene, die ihre Firmenfeiern hierher verlegen und möglichst nah am Idyll vor sich hin prosten. Für jene, die inmitten eines Bergwaldes auf 1.000 Metern Hochzeiten feiern dürfen. Jene, die einen Speichersee, der Schnee garantieren soll, auf dem Gipfel des Wallbergs eingraben wollten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen…

Wir dürfen nicht alles mit Geld rechtfertigen

Die Verantwortlichen merken die Einschläge nicht mehr. Nicht alles, was Geld verspricht, ist gut. Das ist eine Lehre, die Sylt, Kitzbühel oder Saint Tropez und andere sogenannte „Destinationen“ längst bitter erfahren durften. Wir schielen zu den Österreichern, die ja so erfolgreich in diesem Geschäft sind. Vergessen, wie seelenlos und verbaut viele Orte dort aussehen.

Wir fordern gigantische Hotels und Kliniken, weil uns das Gefühl für die eigene Größe, beziehungsweise die eigenen Grenzen, verlorengegangen ist. Wochenende für Wochenende radeln, fahren, trampeln Tausende in ein wenige Quadratkilometer großes Areal. Und immer wieder die gleiche Rechtfertigung: Das bringt Geld. Und jeder, der das nur zaghaft kritisiert, wird als Ewiggestriger, als Besitzstandsbewahrer niedergemacht.

Natürlich gibt es das Doppelzüngige der Talbewohner, die einerseits gern die Hand aufhalten, wenn das Geld für das Elternhaus oder die Handwerkerleistung fließt, für die Kässpatzn vom Aldi auf der Hütte. Gleichzeitig wird an Stammtischen und in Foren über die Isarpreissn gelästert und geschimpft.

Und nur wer bezeugen kann, dass schon sein Ururgroßvater dem Märchenkönig die Stange gehalten hat, darf sich äußern. Da wird ein Feindbild geschaffen, um sich ein halbwegs positives Selbstbild zu geben. Diese Vulgärkritik besitzt nicht den Kern einer Heimatvorstellung. Sie ist xenophob und meist nur Ausdruck von schaler Angst.

Der Wiesseer Martin Calsow sieht die Chance in mehr Zusammenhalt und Traditionsbewusstsein.
Der Wiesseer Martin Calsow sieht die Chance in mehr Zusammenhalt und Traditionsbewusstsein.

Aber jeder, der im Tal wohnt, spürt oft unbewusst, selten bewusst, dass die hiesige Entwicklung in eine falsche Richtung geht. Doch wie schafft man eine übergeordnete Idee von einem zukünftigen Tal? Ist es möglich, die vielen Vorstellungen zu einem Konzept zu bündeln?

Zunächst steht diesem Projekt der unterschiedliche Begriff von Heimat im Weg. Bei vielen endet er am Ortsschild. Statt das Tal als einen Lebensraum aus Tradition, Sprache und einem gemeinsamen Zukunftsgedanken zu verstehen, wird alles versucht, die nicht existierenden Unterschiede zu betonen. Da wird gespalten, statt sich als Einheit zu verstehen.

Wenn in Gmund zu recht über einen gigantischen Verkehr geklagt wird, dann kann der Nachbarort nicht mit den Schultern zucken. Aber der Verkehr ist nur mit vielen Kompromissen, Verzicht für einige und Vorteilen, die erst Jahre später zu sehen sind, eben einer radikalen Gesamtidee, zu bewältigen.

Ein Runder Tisch am Tegernsee

Statt von Tourismus-Fusionen zu phantasieren, wäre ein talweiter, ja nennen wir es einmal Runder Tisch, eine erste Idee. Wer immer so etwas anstößt, kann sich um die Zukunft des Tals verdient machen. Nicht noch ein Verein, der etwas schützt, mehr eine gemeinsame Bewegung, die schützt und verändert.

Bei jeder Frage, ob Tourismus, Verkehr, Demographie, Bildung oder Ökologie: Nur wenn wir unseren Lebensraum als Gesamtheit begreifen, können mutige, vielleicht auch erst abwegig erscheinende Ideen aufkommen. Ob das ein verpflichtendes Bayerisch in den Schulen, ein Verknappen von Baugrund, eine Verengung oder gar der Rückbau von Straßen, oder ob das in wenigen Jahren eine einzige Talstadt mit Ortsteilen ist.

Nur wenn wir uns seeübergreifend einig sind, können wir weiter verhindern, dass das Tal zu einer vergewaltigten Landschaft wird, kein Gottes Warteraum für betuchte Zugezogene und trotzige Einheimische.

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