Fortschritt ist nicht IGITT

Eines der Grundübel alternder Gesellschaften ist die stetig wachsende Angst vor neuen Dingen. Das böse Internet, diese Strahlen in der Luft und dann auch noch ein neuer Impfstoff. Speziell im Seniorenheim Tegernseer Tal wabern die Parolen der Okkulten herum. Zeit, sich mal wieder auf die Zukunft zu freuen. Ein Kommentar.

Aktuell kramen viele Menschen ihren alten Impfschein hervor … / Quelle: Privat

Ein Kommentar von Martin Calsow:

Dann kramt man in seinen Unterlagen doch noch den alten, schon gelblichen Impfschein hervor. Sieht die Einträge von vor einem halben Jahrhundert. Sieht, wie dieser Staat uns gegen Polio, gegen Keuchhusten und die Pocken geschützt hat. Keiner fragte ernsthaft. Man war ja froh, dass es einen Schutz gab, sagt die Mutter, deren Onkel an Polio erkrankt und deren Cousine an Diphterie starb. Impfen war ein Segen.

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Nach und nach verließ uns das Vertrauen, Misstrauen gegen den Staat, und Angst um die Gesundheit der Kinder schlich sich in manchen gesellschaftlichen Gruppen ein. Statt Erleichterung über den Fortschritt, der so viele Leben rettete, zweifelte man an der Integrität der Behörden und der Wirkmacht der Pharmazie. Lieber vertraute man Zuckerkügelchen oder zweifelhaften Quacksalbern.

Hoffnung vs. Misstrauen

Das geschah meist mit einem Raunen, weniger mit Argumenten. Obwohl wir uns noch nie so umfassend und transparent informieren konnten, frei sind in unseren Entscheidungen und den schnellsten und einfachsten Zugang zu Wissen haben, lassen wir den vorwurfsvollen Zweifel, die gefühlte Wahrheit  zu. Da schafft es unsere Gesellschaft, dank eines immer noch vorzüglichen Bildungs- und Forschungssystems einen Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln, der vielleicht das Leben vor allem unserer Eltern schützen kann. Und manche glauben, sie werden jetzt staatlicherseits mindestens vergiftet.

Da sehen wir endlich, nach einem ordentlichen Drecksjahr, Licht am Ende des Tunnels. Da besteht die leichte Hoffnung auf eine Wiederherstellung einstiger Lebensverhältnisse jenseits von Masken und Existenzsorgen. Und was wabert jetzt durch unsere Gesellschaft? Misstrauen und Latrinen-Parolen. Gestreut von Menschen mit Viertelwissen und zuweilen mit einer Agenda. Denn Skepsis führt zu Angst. Und Angst ist die Grundnahrung für Populisten. Die stehen schon bereit. Die AfD, die Freunde Putins, die Esoteriker mit ihren gefühlten Fakten und die Baumpfleger, mit ihrer langjährigen Impf-Expertise.

Informieren wir uns!

Wir werden von der Tatsache überrascht, dass das Leben Risiken bereithält. Keiner macht sich Sorgen, wenn er mit 200 km/h über die Autobahn brettert oder beim Chinesen die 114 bestellt. Aber viele bibbern vor der Spritze. Lassen wir uns mal zur Abwechslung seriös von unseren Wissenschaftlern das Für und Wider eines neuen Impfstoffs erklären! Informieren wir uns, wie diese komplexe Sache mit der Gentechnik eigentlich wirklich läuft! Klar ist: Eine Impfpflicht durch die Hintertür (Fliegen und öffentliches Leben nur mit Impfausweis) wäre schwierig. Da muss Aufklärung vor Zwang stehen. Andererseits obliegt es z.B. den Reiseunternehmen, wie sie mit dem Risiko umgehen. Wer will schon zum Hotspot werden?

Jetzt am Ende eines schwierigen Jahres sehen wir mit Stolz, wie sachlich und dennoch empathisch unsere Regierung, die wir gewählt haben, die sich nicht an die Macht geputscht hat, wie diese Organe unseres Staats uns schützen. Und wenn beim Advent-Backen der komische Onkel mit der Elektrosmog-Angst kommt und mit seinem Viertelwissen bramarbasiert, einfach mal einen Keks in den Mund schieben.

Am Ende dieses Mistjahres hat unsere Gesellschaft, jedenfalls die Mehrheit, das größte Experiment vorerst überstanden – ohne Triagen in Krankenhäusern und Toten auf Gabelstablern. Was für ein Fortschritt. Neben der AHA-Regel gilt auch das ewige ILE-Gesetz der Aufklärung: informieren, lernen und eigenständig auf Basis der Wissenschaft entscheiden. Bleiben wir ruhig, heiter und gelassen.

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