Wann ist die Grenze überschritten?

Ein Tegernseer Flüchtling wird wegen versuchten Totschlags zu vier Jahren Haft verurteilt. Schnell werden Rufe nach Abschiebung laut. Doch das ist nicht so einfach, wie es zunächst scheint.

Trotz Verbrechen: Die Abschiebung eines Flüchtlings ist nicht so einfach.
Trotz Verbrechen: Die Abschiebung eines Flüchtlings ist nicht so einfach.

Ein 42-jähriger Asylbewerber aus Sansibar in Tansania war über einen längeren Zeitraum in der Tegernseer Turnhalle untergebracht. Dort kam es unter starkem Alkoholeinfluss zu einem heftigen Streit mit einem anderen Asylbewerber: Der Sansibarer griff seinen Kontrahenten mit einem Pflasterstein an und wurde wegen versuchten Totschlags zu vier Jahren Haft verurteilt.

Durch Kommentare wie „Sofort ausweisen“ oder „Womöglich sitzt er die Strafe in Deutschland auf unsere Kosten ab“ stellt sich die Frage: Wird der Asylbewerber wirklich ausgewiesen oder bleibt er in Deutschland?

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Wie Birger Nemitz, Pressesprecher des Landratsamtes auf Nachfrage zunächst einmal mitteilt, hatte der verurteilte Täter bis dato noch gar keinen Asylantrag gestellt. Er wurde aber vom Landratsamt darüber informiert, dass er dies auch aus der Haft heraus tun könne.

“Einfach abschieben” geht nicht…

Eine Abschiebung sei erst möglich, so Nemitz, wenn entweder das Asylverfahren unanfechtbar abgeschlossen ist, oder aber eine Ausweisung verfügt wurde. Vor einer Ausweisung sei zunächst eine Anhörung durchzuführen. Im geschilderten Fall sei eine Ausweisung deshalb nicht möglich, weil das Landratsamt noch kein rechtskräftiges Urteil vorliegen habe, und bezüglich des Asylverfahrens noch kein aktueller Sachstand vorläge.

Wie Nemitz weiter mitteilt, habe der 42-Jährige eine Straftat im Bundesgebiet verübt. Für diese wurde er von einem deutschen Gericht verurteilt. Darum sitze er seine Strafe auch in Deutschland ab. Es sei nicht davon auszugehen, dass er seine Strafe auch in Tansania absitzen könne.

Einer Abschiebung während der Verbüßung der Haftstrafe müsste die Staatsanwaltschaft zustimmen. Das sei aber bei Freiheitsstrafen in der Regel frühestens nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe der Fall, erklärt Nemitz. Und auch das Abschiebungsverfahren könne sich aufgrund der fehlenden Ausweisdokumente einige Monate hinziehen. Das bestätigt auch Oliver Platzer, Sprecher des Innenministeriums:

Ein Asylbewerber kann nicht einfach in den nächsten Flieger gesetzt werden, er braucht einen ausreisepflichtigen Status. Dieser ist erst dann erreicht, wenn ein ablehnender Asylantrag vorliegt und alle Klagewege ausgeschöpft sind.

Diese Passersatzpapiere könne man aber bei Haftfällen in der Regel beantragen, erklärt Birger Nemitz, sodass spätestens zum Haftende eine zeitnahe Abschiebung erfolgen würde. Im vorliegenden Fall seien allerdings Aliasdaten im Spiel – eine Identitätsermittlung würde deshalb Zeit beanspruchen.

…aber wer eine Straftat begeht, muss ausreisen

Für die Abschiebung bedürfe es zudem einer Beauftragung der zuständigen Polizeiinspektionen, einer Zusammenarbeit mit der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft. Das Landratsamt – Ausländeramt – müsse dann mit der Polizeiinspektion einen Termin für die Abschiebung festlegen, den Transport von der JVA zum Flughafen organisieren und schließlich die erforderlichen Papiere übermitteln. Das Landratsamt würde daraufhin eine Abschiebungsverfügung sowie einen Leistungsbescheid über die Kosten der Abschiebung erstellen.

Auch wenn sicher sei, wie Oliver Platzer erklärt, dass Straftäter auf jeden Fall außer Landes müssen, weil sich ein Flüchtling mit einer Straftat das Anrecht auf Asyl verwirkt habe, dürfte klar sein, dass solche Vorfälle das Verständnis und die Hilfsbereitschaft für friedliche Asylbewerber nicht gerade erleichtern. Eine Differenzierung wird zusehends schwieriger. Und auch wenn die Forderung nach „einfach abschieben“ immer lauter wird, sieht die Praxis oft wesentlich schwieriger aus.

Ein Blick in die Statistik offenbart die Realität: Aus einer Stellungnahme der Bundesregierung im Mai geht heraus, dass zu diesem Zeitpunkt nur 51 Prozent aller 2014 und 2015 abgelehnten Asylbewerber Deutschland verlassen haben. Allerdings wolle die Bundesregierung „sowohl die freiwillige Ausreise fördern und ausbauen als auch wie Möglichkeit der Abschiebung besser und konsequenter nutzen.“

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