Vom Nobelhotel zum Busfahrer-Notstand
Luxus kennt keine Krise – gut für den Tegernsee?

Die Krisen der Welt bringen große Sorgen. Ganze Industriezweige befinden sich im Existenzkampf. Teure Energie, Inflation, fehlende Mitarbeiter. Doch eine Branche boomt. Und die ist im Tal sowas von dahoam.

Auch auf den traditionellen Weihnachtsmärkten am See musste keiner Durst oder Hunger schieben / Quelle: Redaktion

Eine Auswertung der Unternehmensberatung Deloitte bringt es ans Licht: Die Unternehmen, die sogenannte Luxusgüter produzieren und vertreiben, erlebten bereits im Jahr 2021 einen unglaublichen Anstieg der Umsatzzahlen. Insgesamt erwirtschafteten die 100 Spitzenfirmen im Pandemiejahr 2021 einen Umsatz von 332,62 Milliarden Euro. 50,37 Milliarden Euro mehr als noch im Jahr davor. Selbst das Ergebnis von 2019 wurde um 22,81 Milliarden Euro übertroffen. Für das vergangene Geschäftsjahr wird eine erneute Steigerung erwartet.

So prognostiziert die ebenfalls im Luxussegment tätige Beratungsfirma Bain & Company für 2022 weltweit ein erneutes Rekordjahr. Ein Wachstum von 15 Prozent wird erwartet. Insgesamt sollen im letzten Jahr 353 Milliarden Euro für persönliche Luxusgüter ausgegeben worden sein. Der vermögendste Mann der Welt verdient sein Geld nicht mit IT Produkten oder Aktien. Bernard Arnault hat seine 178 Milliarden Dollar mit Luxusartikeln erwirtschaftet.

Goldgräber-Stimmung im Ex-Rentnerparadies

Seit König Max I. von Bayern 1817 das Benediktinerkloster am Ufer des Tegernsees zu seiner Sommerfrische erkor, steht das Tal ganz hoch in der Gunst der Reichen und Schönen. Heutzutage verbringt der Geldadel, der Restadel sowie die im Fahrwasser der Reichen Schwimmenden stylische Kurzurlaube am See. Wer es sich dabei noch leisten kann, wird zum Zweitwohnsitzler. Der Rest kommt in den Luxus-Unterkünften im Tal unter. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, begann vor mehr als einem Jahrzehnt die Jagd auf geeignete Objekte und Grundstücke. Selbst beschauliche Senioren-Hochburgen wie Bad Wiessee machten sich auf den Weg, das miefige “Kurort-Image” loszuwerden.

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1-2-3 und schon war das Boom Boom Hotel in Bad Wiessee übernachtungsreif. / Redaktion

Von Bad Wiessee bis Tegernsee beschäftigen sich die Gemeinderäte seit Jahren mit den geplanten Luxusobjekten. Hauptsächlich mit vier-, fünf- oder auch fünf+ Sternen ausgestattet. Wobei der Umbau der Egerner Höfe des Joghurt-Königs Ehrmann in Sachen Umbauzeit zum Klassenprimus avancierte. In Rottach feierte man schon 2021 Eröffnung. Dicht gefolgt 2022 von Korbinian Kohler mit seinem Hotel Bussi Baby in Bad Wiessee. Nicht ganz so edel, dafür extrem hip gedacht. Eher was für das Gefolge des Geldes, das der C-Promis im Münchner Influencer-Kosmos. Braucht es aber auch, wenn nach dem Besuch der Fischerei-Parties der Lappen nicht weg sein soll. Einige von ihnen sollen auch im sanierten Sonnenbichl Hotel hoch über Bad Wiessee ein neues Zuhause gefunden haben.

Im Frühjahr zieht die Tegernseer Bohne des Grauens mit großer Verzögerung nach. Die Luxusherberge, die sich dann im Namen mit der poetischen Geschichte der Caroline von Baden schmückt. Was jedoch kaum die Zeichen der Über-Verdichtung bei den aus dem Ruder laufenden Grundstückspreisen im Tal kaschieren mag. Sehr eng ist es da in Tegernsee-City geworden.

So wird das Hotel auf dem ehemaligen Krankenhausareal in Tegernsee aussehen bei der Eröffnung / Quelle: planquadr.at

Die kritische Infrastruktur am Tegernsee

Mächtig Fahrt aufgenommen hat indes das gigantische Rehaklinik- und Sanatorium-Projekt von Klaus Dieter Burkhart in der Perronstraße. Dabei schrumpfte der Bau allerdings ein wenig in sich zusammen. Dies nahm die Stadt Tegernsee gern zum Anlass, gemeinsam mit dem Bauherrn Mitarbeiter-Wohnungen auf dem nun freien Bauplatz anzuregen. Im schönen Park nahe dem südlichen Seeufer soll Platz geschaffen werden für die Menschen, ohne die die ganze Luxusblase am See in kürzester Zeit platzen würde.

In den letzten Jahren offenbarte sich ein kleiner, doch folgenreicher Denkfehler in der schönen Zukunftsvision des grundsanierten Tals. Keiner der Immobilienentwickler oder Goldrauschräte der Zehnerjahre unseres Jahrhunderts hatte sich scheinbar ernsthaft Gedanken darum gemacht, wer denn all die vornehmen Gäste und neuen Bürger auf Zeit hofieren solle. Luxus braucht neben den Villen, Hotels und Apartments eine hervorragend ausgebaute menschliche Infrastruktur: Zimmermädchen, Küchenpersonal, Handwerker, Bauarbeiter, Mitarbeiter im Gesundheitssektor, Lehrer und Kinderbetreuer, Friseure, Schlachter, Supermarktangestellte, Müllwerker, Busfahrer sowie Verwaltungsangestellten in den fünf Rathäusern rund um den See.

All die “Infrastrukturbewahrer” müssen jedoch auch irgendwo leben, einkaufen und ihre Familie organisieren. Gar nicht einfach, wenn die Immobilienpreise dermaßen explodieren auf der begrenzten Talfläche. In der Folge gerät meist jede Verdichtung der innerörtlichen Bebauung zur Luxerisierung des Gebietes. Wo einst Familien wohnten, entstehen jetzt Apartmenthäuser mit Arbeits- statt Kinderzimmern – gern auch von Spekulanten als hübsche Ferienlocation vermietet.

Wohnraum für Normalos

Diese Entwicklung bereitet seit langer Zeit am Tegernsee beheimatete Familien riesige Probleme bei der Weitergabe des Immobilienbesitzes an die nächste Generation. Erben mutiert zum Luxusgut für Reiche. Wandern die einheimischen Familien aus, die jetzt noch im Tal leben, wird das weitreichende Folgen haben für einen weiteren menschlichen Infrastrukturbereich, der lebenswichtig ist fürs Tal. Das Ehrenamt: Bei der Feuerwehr, den Sport- und Traditionsvereinen, den Helferkreisen, der Tafel, den Rettungsdiensten bei der Wasserwacht, der DLRG, der Bergwacht und den allgemeinen Rettungsdiensten.

Hotel-Mogul Korbinian Kohler, das Herzogliches Brauhaus Tegernsee und Unternehmer Marcel Dittrich aus Irschenberg etwa haben diese Fehlentwicklung erkannt und starten den Versuch, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Ebenso intensivieren die Seegemeinden ihre Anstrengungen, “Einheimischen-Projekte” und kommunal verwalteten Wohnraum voranzutreiben. Kein einfaches Unterfangen aufgrund des natürlich limitierten Baugrundes im Tal, den hohen Grundstückskosten und den teils klammen Kassen der Gemeinden. Darunter leidet auch die kommunale Infrastruktur sichtlich. Prominentes Opfer 2022: Der Badepark in Wiessee. Das einzige Hallenbad im Tal wurde abgerissen. Für den geplanten Neubau fehlt in der Krise das Geld.

Hier stand mal ein Hallenbad. Der Wiesseer Badepark ist nun Geschichte / Quelle: Redaktion

Dafür bekommt die Gemeinde am Westufer einen neuen Kindergarten und mit Krippe. In Tegernsee gibts erst mal Container, in Kreuth und Gmund wird das bestehende Angebot der Kinderbetreuung ausgebaut. Ausreichend wird das auf absehbare Zeit kaum sein. Kein Problem für die Luxusurlauber am Tegernsee. Die bereits bestehenden Luxusbauten wie auch die in Bau oder Planung befindlichen Projekte verfügen allesamt über eigene Wellness-Oasen und Kinderanimation. Die kommunale Notlage fällt so weniger ins Gewicht.

Jetzt geht’s los – mit Krach und Dreck

Nach langer Planungsphase starten heuer mehrere neue Mega-Hotelprojekte durch: Im Seegut Tegernsee begannen die Strüngmanns im Dezember mit dem Aushub der Erde und Dr. Andreas Greither werkelt wieder am Westerhof-Ausbau, nachdem er sich erfolgreich vor Gericht gegen seine Nachbarn durchsetzen konnte. Im Bachmair am See steht zwar die Arbeit mal wieder, gebaut wird aber irgendwie doch, sagen jedenfalls die offiziellen Stellen.

Selbst hinter dem Bauzaun des quasi Nachbarn in der Rottacher Seestraße sollen bald die Bagger durchstarten. Die 5-Sterne Luxusherberge der Severin-Gruppe auf dem ehemaligen Seeperlen-Grundstück soll bis 2024 eröffnen. In Tegernsee haben die Pläne fürs Guggemos im Stadtrat eine Mehrheit gefunden. Was allerdings die einen freut, bringt anderen Leid. Baustellenbetrieb bringt halt Dreck und Krach in die Mitte der See-Gemeinden. Und das auf Jahre.

Grühn-Areal in der Ortsmitte von Bad Wiessee. In der Dorfmitte sollen einmal bezahlbarer Wohnraum entstehen / Quelle: Redaktion

Noch durchatmen können die Anwohner der Dr. May Klinik und die Wanderer in Wildbad Kreuth. Kohler plant noch im Hintergrund mit der Gemeinde sein Luxus-Retreat im neuen Ensemble-Schutz unter Ausschluss der Öffentlichkeit und schlägt sich nicht gerade erfolgreich, wie man so hört, mit den neuen Projektentwicklern der May-Klinik herum. Ebenso stocken erwartungsgemäß die Planungen rund um das Trauerspiel der Schweizer SME-Investoren in Wiessee. Immerhin wurde der bereits marode Bauzaun instand gesetzt.

Nach dem fulminanten Start der Acona Gruppe mit Testimonial Til Schweiger in Bad Wiessee befindet sich das Barefoot-Hotelprojekt in der Umdenkphase. Währenddessen reichen die Betreiber des auf ewig neuen Almdorfes in Tegernsee gefühlt den hundertsten Tektur-Antrag im Januar ein. Bei der Villa am See in Tegernsee warten wir weiter auf den versprochenen Rückruf. Gleiches gilt für das “Designhotel” im Krottenthal des Immobilienentwicklers Karl-Heinz Detlef Krutz.

Die luxuriöse Infrastruktur wächst

Immerhin bereitet sich der Einzelhandel und die Gastronomie am Tegernsee weiter fleißig auf die neuen Gäste vor. Sei es mit der Eröffnung des hochpreisigen Freizeitparks “Tegernsee Phantastisch” des bereits dreimal erwähnten Hotel-Unternehmers Kohler, den beiden neuen Filialen des Luxusartikelanbieters Apropos oder dem Ausbau der leicht erreichbaren Almhütte im Wiesseer Söllbachtal, auf der Saurüsselalm, sowie dem Neubau der Siebenhüttn-Alm in Kreuth.

Was uns das neue Jahr bringt, ist kaum abzuschätzen. Immerhin verankern wir uns, wenn auch langsam, weiter innerhalb des Luxussegments – der momentan weltweit krisenfesten Boombranche. Das hat unbestreitbar Vorteile. Luxus ist was Feines. Er demonstriert Aufschwung, jedenfalls nach Außen. Doch er hat auch seinen Preis. Den werden wohl vor allem die nächsten Generationen derer, die sich hier noch einheimisch fühlen, zu spüren bekommen.

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